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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kehlmann
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stand bereits niedrig, in der Ferne kletterte die Gondel einer Seilbahn einen Berghang empor, fing blitzend einen Sonnenstrahl auf, verschwand über einem Waldstück. Von nebenan hörte ich ein polterndes Geräusch; ich horchte, aber es kam nichts mehr.
    Ich mußte systematisch vorgehen. Das war Miriams Arbeitsplatz, vermutlich war ihr Vater seit Jahren nicht hier gewesen. Zunächst würde ich alle offen daliegenden Papiere durchsehen, dann würde ich mich von unten nach oben durch die Tischschubladen arbeiten, dann kämen, von links nach rechts, die Schränke. Wenn nötig, konnte ich sehr ordentlich sein.
    Das meiste waren finanzielle Unterlagen. Konto- und Depotauszüge über insgesamt weniger Geld, als ich erwartet hatte. Es gab Belege für ein Geheimkonto in der Schweiz, keine überwältigende Summe, doch immerhin konnte ich das notfalls als Druckmittel verwenden. Verträge mit Galeristen: Bogovic hatte zunächst vierzig, dann nur noch dreißig Prozent bekommen, auffallend wenig, wer immer damals mit ihm verhandelt hatte, hatte seine Sache gut gemacht. Unterlagen einer privaten Krankenversicherung - ziemlich teuer -, dann auch eine Lebensversicherung, seltsamerweise für Miriam, doch nicht in auffallender Höhe. Ich schaltete den Computer ein, er fuhr ratternd hoch und verlangte nach dem Paßwort. Ich probierte es mit miriam, manuel, adrienne, papa, mama, hallo und paßwort, aber nichts funktionierte. Ärgerlich schaltete ich ab.
    Nun kamen die Briefe. Schreibmaschinendurchschläge einer endlosen Korrespondenz mit Galeristen über Preise, Verkäufe, die Verschickung einzelner Bilder, die Rechte für Drucke, Postkarten, Bildbände. Die meisten Briefe waren von Miriam, einige hatte ihr Vater diktiert und unterschrieben, nur die ältesten waren in seiner eigenen Handschrift: Verhandlungen, Vorschläge, Forderungen, sogar Bitten aus der Zeit vor dem Ruhm. Damals war seine Schrift krakelig gewesen, die Zeilen fielen nach rechts ab, die i-Punkte sprangen aus den Zeilen. Durchschläge einiger Antworten an Journalisten: Mein Vater ist und war nie gegenständlicher Maler, weil er nicht meint, daß dieser Begriff einen Sinn hat, entweder ist jede Malerei gegenständlich oder keine, und das wäre auch schon alles, was sich dazu sagen läßt. Ein paar Briefe von Clure und anderen Freunden: Verabredungen, knappe Antworten, Geburtstagsgrüße und, in einem säuberlichen Stapel, Professor Mehrings Weihnachtskarten. Vortragseinladungen zu Universitäten; soviel ich wußte, hielt er nie Vorträge, offenbar hatte er ihnen allen abgesagt. Und die Fotokopie einer kuriosen Karte an Claes Oldenburg: Kaminski dankte ihm für seine Hilfe, bedauerte jedoch, zugeben zu müssen, daß er Oldenburgs Kunst - Verzeihen Sie die Ehrlichkeit, aber in unserem Metier sind freundliche Lügen die einzige Sünde - für wertlosen Unsinn hielt. Ganz zuunterst, auf dem Boden der letzten Schublade, fand ich eine dicke, mit einem kleinen Schloß versperrte Ledermappe. Ich versuchte vergeblich, sie mit dem Brieföffner aufzubekommen, und legte sie zur Seite, um mich später darum zu kümmern.
    Ich sah auf die Uhr: Ich mußte mich beeilen! Keine Briefe an Dominik Silva, an Adrienne, an Therese? Es war doch die Zeit der Briefe gewesen! Aber da war nichts. Ich hörte einen Motor und trat beunruhigt ans Fenster. Unten hatte ein Wagen gehalten. Clure stieg aus, sah sich um, machte einige Schritte auf Kaminskis Haus zu, bog, ich atmete auf, seitlich ab und schloß sein Gartentor auf. Nebenan hörte ich Kaminskis trockenes Husten.
    Ich kam zu den Schränken. Ich blätterte dicke Aktenordner durch, Versicherungsunterlagen, Grundbuchkopien, er hatte vor zehn Jahren ein Grundstück in Südfrankreich gekauft und mit Verlust wieder abgestoßen. Prozeßunterlagen eines Verfahrens gegen einen Galeristen, der Bilder aus seiner symbolistischen Frühzeit angeboten hatte. Auch alte Skizzenbücher mit detaillierten Aufzeichnungen über die Strahlengänge zwischen unterschiedlichen Spiegeln: Ich überschlug ihren Wert und kämpfte ein paar Sekunden gegen den Wunsch an, eines davon einzustecken. Schon war ich beim letzten Schrank: alte Rechnungen, Kopien von Steuererklärungen der letzten acht Jahre; ich hätte sie gerne durchgesehen, aber dafür war keine Zeit. Ich klopfte in der Hoffnung auf Geheimfächer oder doppelte Böden gegen die Rückwände. Ich legte mich auf den Boden und spähte unter die Schränke. Ich stellte mich auf den Stuhl und betrachtete sie von oben.
    Ich

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