Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski
Autoren: Daniel Kehlmann
Vom Netzwerk:
die Augen, plötzlich fühlte ich mich schwach.
    »Lieber Herr«, sagte Karl Ludwig. »Ein Großteil des Lebens ist Falschheit und Verschwendung. Wir begegnen dem Übel und erkennen es nicht. Wollen Sie mehr hören?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Ja«, sagte Kaminski. »Kennen Sie Hieronymus Bosch?«
    Karl Ludwig nickte. »Er hat den Teufel gemalt.«
    »Das ist nicht gesichert.« Kaminski setzte sich auf. »Sie meinen die menschenfressende Figur mit dem Nachttopf auf dem Schädel ganz rechts im Garten der Lüste?«
    »Weiter oben«, sagte Karl Ludwig. »Der Mann, der aus einem Baum wächst.«
    »Interessante Idee«, sagte Kaminski, »die einzige Figur, die aus dem Bild blickt und keinen Schmerz zeigt. Aber da sind Sie auf dem Holzweg.«
    Ich sah wütend von einem zum anderen. Wovon redeten sie?
    »Das ist nicht der Teufel!« sagte Kaminski. »Sondern ein Selbstporträt.«
    »Ist das ein Widerspruch?« fragte Karl Ludwig.
    Ein paar Sekunden war es still. Karl Ludwig lächelte im Rückspiegel, Kaminski kaute verdutzt an seiner Unterlippe.
    »Ich glaube, Sie sind falsch abgebogen«, sagte Karl Ludwig.
    »Sie wissen doch nicht, wohin wir fahren!« sagte ich.
    »Wohin fahren Sie denn?«
    »Nicht übel«, sagte Kaminski und reichte ihm die Croissants nach hinten. »Der Baummann. Nicht übel!« Karl Ludwig zerriß das Papier und begann gierig zu essen.
    »Sie sagten, Sie hatten es schwer«, sagte Kaminski. »Ich erinnere mich noch gut an meine erste Ausstellung. Was für eine Niederlage!«
    »Ich habe auch ausgestellt«, sagte Karl Ludwig kauend.
    »Wirklich?«
    »In privatem Rahmen. Schon lange her.«
    »Gemälde?«
    »Etwas in der Art.«
    »Sie waren sicher gut«, sagte Kaminski.
    »Ich denke nicht, daß man das behaupten kann.«
    »War es schlimm für Sie?« fragte ich.
    »Nun ja«, sagte Karl Ludwig. »Im Prinzip schon. Ich hatte...«
    »Ich habe nicht Sie gefragt!« Ein Sportwagen fuhr zu langsam, ich hupte und überholte.
    »Es ging«, sagte Kaminski. »Durch Zufall hatte ich keine Geldsorgen.«
    »Durch Dominik Silva.«
    »Und ich hatte genug Einfälle. Ich wußte, daß meine Zeit kommen würde. Ehrgeiz ist wie eine Kinderkrankheit. Man überwindet ihn und ist gestärkt.«
    »Manche überwinden ihn nicht«, sagte Karl Ludwig.
    »Außerdem war Therese Lessing noch da«, sagte ich.
    Kaminski antwortete nicht. Ich blickte ihn scharf von der Seite an: Seine Züge hatten sich verdunkelt. Im Rückspiegel wischte sich Karl Ludwig mit dem Handrücken den Mund ab, Krümel rieselten auf das Leder der Sitzbank.
    »Ich will nach Hause«, sagte Kaminski.
    »Entschuldigen Sie!«
    »Nichts zu entschuldigen. Bringen Sie mich heim!«
    »Vielleicht sollten wir das in Ruhe besprechen.«
    Er drehte den Kopf, und für eine lange Sekunde war das Gefühl, daß er mich durch das Schwarz seiner Brille ansah, so stark, daß es mir den Atem nahm. Dann wandte er sich ab, sein Kopf sank auf die Brust, sein ganzer Körper schien zu schrumpfen.
    »Gut«, sagte ich leise, »fahren wir zurück.« Karl Ludwig kicherte. Ich blinkte, fuhr von der Straße ab, wendete.
    »Weiter«, sagte Kaminski.
    »Was?«
    »Wir fahren weiter.«
    »Aber gerade haben Sie...«
    Er zischte, und ich schwieg. Sein Gesicht war hart, wie aus Holz geschnitzt. Hatte er es sich wieder anders überlegt, oder wollte er mir bloß seine Macht zeigen? Aber nein, er war alt und verwirrt, ich durfte ihn nicht überschätzen. Ich wendete ein zweites Mal und fuhr zurück auf die Straße.
    »Manchmal findet man schwer zu Entschlüssen«, sagte Karl Ludwig.
    »Seien Sie ruhig!« sagte ich. Kaminskis Kiefer mahlten leer, sein Gesicht war wieder schlaff, als wäre nichts geschehen.
    »Übrigens«, sagte ich, »ich war in Clairance.«
    »Wo?«
    »In der Salzmine.«
    »Sie geben sich aber Mühe!« rief Kaminski.
    »Haben Sie sich dort wirklich verirrt?«
    »Ich weiß, es klingt lächerlich. Ich konnte den Führer nicht mehr finden. Bis dahin hatte ich die Sache mit meinen Augen nicht ernst genommen. Aber plötzlich war überall Nebel. Da unten konnte es keinen Nebel geben. Also hatte ich ein Problem.«
    »Makuladegeneration?« fragte Karl Ludwig.
    »Was?« fragte ich.
    Kaminski nickte. »Gut geraten.«
    »Erkennen Sie heute gar nichts mehr?« fragte Karl Ludwig.
    »Formen, manchmal Farben. Umrisse, wenn ich Glück habe.«
    »Haben Sie allein hinausgefunden?« fragte ich.
    »Gott sei Dank schon. Ich habe den alten Trick verwendet, immer an der rechten Wand entlangzugehen.«
    »Ich verstehe.« An
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher