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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kehlmann
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der rechten Wand? Ich versuchte es mir vorzustellen. Wieso sollte das funktionieren?
    »Am nächsten Tag war ich beim Augenarzt. Da habe ich es erfahren.«
    »Sie dachten wohl, die Welt geht unter«, sagte Karl Ludwig.
    Kaminski nickte langsam. »Und wissen Sie was?«
    Karl Ludwig beugte sich vor.
    »Sie ging unter.«
    Die Sonne stand fast im Zenit, die Berge, schon sehr fern, verschwammen im Mittagsdunst. Ich mußte gähnen, eine angenehme Erschöpfung legte sich über mich. Ich begann, von meiner Wernicke-Reportage zu erzählen. Wie ich durch Zufall von dem Fall gehört hatte, am Beginn großer Leistungen steht oft das Glück, wie ich als erster bei dem Haus gewesen war und durch das Fenster gespäht hatte. Ich beschrieb die vergeblichen Versuche der Witwe, mich loszuwerden. Wie immer kam die Geschichte gut an: Kaminski lächelte versonnen, Karl Ludwig betrachtete mich mit offenem Mund. Ich hielt an der nächsten Tankstelle.
    Unser Auto war das einzige, das Tankstellenhäuschen klebte niedrig im Grün. Während ich den Tank füllte, stieg Kaminski aus. Er strich stöhnend seinen Schlafrock glatt, preßte eine Hand auf den Rücken, zog den Stock an sich und richtete sich auf. »Führen Sie mich zur Toilette!«
    Ich nickte. »Karl Ludwig, aussteigen!«
    Karl Ludwig setzte umständlich seine Brille auf und bleckte die Zähne. »Warum?«
    »Ich schließe ab.«
    »Keine Sorge, ich bleibe im Wagen.«
    »Eben deshalb.«
    »Wollen Sie ihn beleidigen?« fragte Kaminski.
    »Sie beleidigen mich«, sagte Karl Ludwig.
    »Er hat Ihnen nichts getan!«
    »Ich habe nichts getan.«
    »Also lassen Sie den Blödsinn!«
    »Ja bitte. Ich bitte Sie.«
    Ich seufzte, beugte mich vor, steckte das Diktaphon ein, zog den Autoschlüssel ab, warf Karl Ludwig einen warnenden Blick zu, hängte meine Tasche um und faßte nach Kaminskis Hand. Wieder seine weiche, seltsam sichere Berührung, wieder das Gefühl, daß er eigentlich mich führte. Beim Warten betrachtete ich Werbeplakate: Trink doch Bier!, eine lachende Hausfrau, drei fette Kinder, eine runde Teekanne mit einem lachenden Gesicht. Ich lehnte mich einen Moment an die Wand, ich war doch sehr müde.
    Wir gingen zur Kasse. »Ich habe kein Geld dabei«, sagte Kaminski.
    Ich biß die Zähne zusammen und holte meine Kreditkarte hervor. Draußen sprang ein Motor an, starb ab, sprang wieder an und entfernte sich; die Frau an der Kasse sah neugierig auf den Monitor der Überwachungskamera. Ich unterschrieb und nahm Kaminski beim Arm. Die Tür öffnete sich zischend.
    Ich blieb so abrupt stehen, daß Kaminski fast hingefallen wäre.
    Trotzdem: Ich war nicht wirklich überrascht. Mir war, als hätte es so kommen müssen, als erfüllte sich eine bedrückend notwendige Komposition. Ich war nicht einmal erschrocken. Ich rieb mir die Augen. Ich wollte schreien, aber mir fehlte die Kraft. Langsam sank ich in die Knie, setzte mich auf den Boden und stützte den Kopf in die Hände.
    »Was denn?« fragte Kaminski.
    Ich schloß die Augen. Plötzlich war es mir egal. Mochten er, mein Buch und meine Zukunft zum Teufel gehen! Was hatte ich mit alldem zu schaffen, was ging dieser Greis mich an? Der Asphalt war warm, die Dunkelheit hell gemasert, es roch nach Gras und Benzin.
    »Zöllner! Sind Sie gestorben?«
    Ich öffnete die Augen. Langsam stand ich auf.
    »Zöllner!« brüllte Kaminski. Seine Stimme war hoch und schneidend. Ich ließ ihn stehen und ging wieder hinein. Die Frau an der Kasse lachte, als hätte sie noch nie etwas so Komisches erlebt. »Zöllner!« Sie nahm den Telefonhörer, ich wehrte ab, die Polizei würde uns bloß aufhalten und lästige Fragen stellen. Ich sagte, ich würde mich selbst darum kümmern. »Zöllner!« Sie solle uns nur ein Taxi rufen. Sie tat es, dann wollte sie Geld für das Telefonat. Ich fragte, ob sie verrückt sei, ging hinaus und faßte Kaminski am Ellenbogen.
    »Da sind Sie ja! Was ist los?«
    »Tun Sie nicht so, als ob Sie das nicht wissen.«
    Ich sah mich um. Ein leichter Wind ließ Wellen über die Felder laufen, im Himmel hingen wenige dünne Wolken. Eigentlich war es ein friedlicher Ort. Man hätte hierbleiben können.
    Aber da kam schon unser Taxi. Ich half Kaminski auf den Rücksitz und bat den Fahrer, uns zum nächsten Bahnhof zu bringen.

VIII
    Das Läuten eines Telefons riß mich aus dem Schlaf. Ich tastete nach dem Hörer, irgend etwas fiel zu Boden, ich fand ihn und zog ihn an mich. Wer? Wegenfeld, Anselm Wegenfeld, von der Rezeption. Fein, sagte ich, was

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