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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski
Autoren: Daniel Kehlmann
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ist? Um mich setzte sich ein abgenutztes Zimmer zusammen: Bettpfosten und Tisch, eine fleckige Nachttischlampe, ein schief aufgehängter Spiegel. Der alte Herr, sagte Wegenfeld. Wer? Der alte Herr, wiederholte er mit seltsamer Betonung. Ich setzte mich auf und war hellwach. »Was ist passiert?«
    »Nichts, aber Sie sollten nach ihm sehen.«
    »Warum?«
    Wegenfeld räusperte sich. Er hustete, dann räusperte er sich wieder. »In diesem Haus gibt es Regeln. Sie werden verstehen, daß wir manche Dinge nicht dulden können. Das verstehen Sie doch?«
    »Zum Teufel, was ist los?«
    »Sagen wir, er hat Besuch. Schicken Sie sie weg, oder wir tun das!«
    »Sie wollen doch nicht behaupten...!«
    »Doch«, sagte Wegenfeld, »genau das.« Er legte auf.
    Ich stand auf, ging in das winzige Badezimmer und wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser. Es war fünf Uhr nachmittags, im Tiefschlaf hatte ich jedes Zeitgefühl verloren. Es dauerte ein paar Sekunden, bis die Erinnerung zurückkam.
    Ein schweigsamer Taxifahrer hatte uns von der Tankstelle weggebracht. »Nein«, hatte Kaminski plötzlich gesagt. »Nicht zum Bahnhof! Ich will mich hinlegen.«
    »Das können Sie jetzt nicht.«
    »Ich kann und ich werde. In ein Hotel!«
    Der Fahrer nickte gleichmütig.
    »Das hält uns nur auf«, sagte ich. »Wir müssen weiter.« Der Fahrer zuckte die Achseln.
    »Es ist gleich eins«, sagte Kaminski.
    Ich sah auf die Uhr, es war fünf vor eins. »Noch lange nicht.«
    »Um eins lege ich mich hin. Ich tue das seit vierzig Jahren, und ich werde es nicht ändern. Ich kann diesen Herrn auch bitten, mich nach Hause zu bringen.«
    Der Fahrer warf ihm einen gierigen Blick zu.
    »Also gut«, sagte ich. »In ein Hotel.« Ich fühlte mich leer und kraftlos. Ich tippte dem Fahrer auf die Schulter. »Und zwar das beste der Gegend.« Bei dem Wort ›beste‹ schüttelte ich den Kopf und machte eine abwinkende Handbewegung. Er verstand und grinste.
    »In ein anderes gehe ich auch nicht«, sagte Kaminski.
    Ich schob dem Fahrer einen Geldschein zu. Er zwinkerte. »Ich bringe Sie zum allerbesten!«
    »Das hoffe ich«, sagte Kaminski, zog seinen Schlafrock enger, hielt den Stock fest und schmatzte leise. Es schien ihm nichts auszumachen, daß Auto und Gepäck weg waren, auch mein Koffer samt dem neuen Rasierer, ich hatte jetzt nur noch die Aktentasche. Er begriff wohl gar nicht, was geschehen war. Vermutlich war es besser, nicht davon zu sprechen.
    Eine Kleinstadt: niedrige Häuser, Schaufenster, eine Fußgängerzone mit dem üblichen Brunnen, noch mehr Schaufenster, ein großes und ein noch größeres Hotel, an denen wir vorbeifuhren. Wir hielten vor einer kleinen, schäbigen Pension. Ich sah den Fahrer fragend an und machte eine Bewegung mit Daumen und Zeigefinger. War das wirklich das billigste? Er überlegte und fuhr wieder an.
    Wir hielten vor einem noch häßlicheren Hotel mit schmutziger Fassade und beschlagenen Fenstern. Ich nickte. »Großartig! Sehen Sie den Mann in Livree?«
    »Zwei Männer«, sagte der Fahrer, dem es offenbar Spaß machte. »Wenn Minister kommen, wohnen sie immer hier.«
    Ich bezahlte, gab ihm noch mehr Trinkgeld, er hatte es verdient, und führte Kaminski in die kleine, schmutzige Lobby. Eine bedrückende Absteige für Handelsvertreter. »Was für ein Teppich!« sagte ich bewundernd und verlangte zwei Zimmer. Ein Mann mit fettigen Haaren gab mir überrascht den Meldeblock. Auf die erste Seite schrieb ich meinen Namen, auf die zweite kritzelte ich etwas Unlesbares. »Danke, kein Träger!« sagte ich laut und führte Kaminski zum Lift; ächzend ruckte die Kabine aufwärts und brachte uns auf einen kaum beleuchteten Gang. Sein Zimmer war winzig, der Schrank stand offen, die Luft war abgestanden.
    »Da hängt ein echter Chagall!« sagte ich.
    »Es gibt von Marc mehr Originale als Kopien. Stellen Sie die Medikamente neben das Bett. Es riecht seltsam, sind Sie sicher, daß das ein gutes Hotel ist?«
    Auf dem Nachttisch war kaum genug Platz für sie alle, zum Glück hatte ich sie gestern in meine Aktentasche gepackt: Betablocker, Cardio-Aspirin, blutverdünnende Mittel, Schlaftabletten.
    »Wo ist mein Koffer?« fragte er.
    »Ihr Koffer ist im Auto.«
    Er runzelte die Stirn. »Der Baummann«, sagte er. »Bemerkenswert! Haben Sie sich mit Bosch beschäftigt?«
    »Nicht viel.«
    »Na dann gehen Sie jetzt!« Er klatschte fröhlich in die Hände. »Gehen Sie!«
    »Wenn Sie etwas brauchen...«
    »Ich brauche nichts, gehen Sie schon!«
    Ich ging
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