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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski
Autoren: Daniel Kehlmann
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mir in die Augen, »...oder wollen Sie noch etwas?«
    Mir wurde heiß. »Warum glauben Sie, daß wir nicht verwandt sind?«
    Sie blickte mich ein paar Sekunden lang an, dann ging sie auf mich zu, unwillkürlich wich ich zurück. Sie streckte die Arme aus, fuhr mit beiden Händen über meinen Kopf, faßte mich am Nacken und zog mich an sich, ich widersetzte mich, ich sah ihre Augen aus der Nähe und wußte nicht, wohin ich schauen sollte, ihr Haar fiel in mein Gesicht, ich versuchte mich zu lösen, sie lachte und trat zurück, plötzlich war ich wie gelähmt.
    »Sie haben mich bezahlt«, sagte sie. »Was nun?«
    Ich antwortete nicht.
    »Sehen Sie?« sagte sie und zog die Augenbrauen hoch. »Machen Sie sich nichts daraus!« Sie lachte und ging hinaus.
    Ich rieb mir die Stirn, nach einer Weile ging mein Atem wieder normal. Also schön, ich hatte wieder einmal Geld aus dem Fenster geworfen, so konnte das nicht weitergehen! Ich mußte so bald wie möglich mit Megelbach über die Spesen sprechen.
    Ich holte die Seite hervor, die ich aus dem Block gerissen hatte. Ein Netz gerader - nein, ganz leicht gekrümmter Linien, die sich von den beiden unteren Ecken aus über das Blatt zogen und in einem feinen System von Zwischenräumen die Umrisse einer menschlichen Gestalt erzeugten. Oder nicht? Nun konnte ich sie nicht mehr finden. Doch, da war sie wieder! Und jetzt wieder weg. Die Striche waren sicher gezogen, jeder mit einem Ansetzen, ohne Unterbrechung. Konnte ein Blinder das tun? Oder war es doch jemand anderer gewesen, ein Vorgänger in seinem Zimmer, und das Ganze ein Zufall? Ich mußte es Komenew zeigen, allein konnte ich das nicht klären. Ich faltete das Blatt, steckte es ein und fragte mich, warum ich sie hatte gehen lassen. Ich rief Megelbach an.
    Das freue ihn aber, sagte er, wie ich denn vorankäme? Großartig, sagte ich, besser als erwartet, der Alte habe mir schon Dinge gesagt, auf die ich nie gehofft hätte, ich könne eine Sensation versprechen, aber mehr verriete ich nicht. Nur gebe es da unerwartete Ausgaben, und... Ein Zischen unterbrach mich. Ausgaben, wiederholte ich, die... Die Verbindung sei nicht gut, sagte Megelbach, ob ich später anrufen könne? Es sei aber wichtig, sagte ich, ich brauchte dringend... Gar kein guter Moment, sagte Megelbach, er sei mitten in einer Besprechung und wisse nicht, wieso die Sekretärin mich überhaupt durchgestellt habe. Es ginge nur um eine Kleinigkeit, sagte ich, und zwar... Viel Glück, rief er, ganz viel Glück, er sei sicher, wir seien an etwas Großem dran. Dann legte er auf. Ich rief wieder an, diesmal meldete sich die Sekretärin. Sie bedauere, Herr Megelbach sei nicht im Büro. Aber nein, sagte ich, ich hätte doch gerade eben mit ihm... Ob ich, fragte sie schneidend, eine Nachricht hinterlassen wolle? Ich sagte, ich würde es später wieder versuchen.
    Ich ging zu Kaminski. Eben klopfte ein schwitzender Kellner mit einem Tablett an seine Tür.
    »Was soll das?« sagte ich. »Das hat niemand bestellt!«
    Der Kellner leckte sich die Lippen und sah mich böse an.
    Auf seiner Stirn standen Schweißperlen. »Doch, Zimmer dreihundertvier. Hat eben angerufen. Tagesmenü, doppelte Portion. Eigentlich haben wir keinen Zimmerservice, aber er hat gesagt, er zahlt extra.«
    »Endlich!« rief Kaminski von drinnen. »Bringen Sie es herein, Sie müssen mir noch das Fleisch schneiden! Jetzt nicht, Zöllner!«
    Ich wandte mich ab und ging zurück in mein Zimmer.
    Als ich eintrat, läutete das Telefon. Vermutlich Megelbach, der sich entschuldigen wollte. Ich nahm den Hörer, aber da war nur das Freizeichen, ich war am falschen Apparat, es war das Mobiltelefon.
    »Wo sind Sie?« rief Miriam. »Ist er bei Ihnen?«
    Ich drückte die Auflegetaste.
    Das Telefon läutete wieder. Ich hob es auf, legte es weg, dachte nach. Ich holte tief Luft und nahm es.
    »Hallo!« sagte ich. »Wie geht es? Woher haben Sie diese Nummer? Ich verspreche Ihnen...«
    Dann kam ich nicht mehr zu Wort. Ich ging langsam auf und ab, ging zum Fenster, lehnte meine Stirn gegen das Glas. Ich senkte das Telefon und atmete aus: Feiner Nebel legte sich auf die Scheibe. Ich hob das Gerät wieder ans Ohr.
    »Machen Sie sich nicht lächerlich«, sagte ich. »Entführung? Es geht ihm großartig, wir machen einfach eine Reise zusammen. Sie können mitkommen, wenn Sie wollen.«
    Unwillkürlich riß ich das Telefon weg, mein Ohr schmerzte. Ich wischte mit dem Ärmel über das beschlagene Fenster. Obwohl ich das Gerät einen
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