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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski
Autoren: Daniel Kehlmann
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Manz von ArT«, sagte Eugen Manz.
    »Was ist los?« sagte Kaminski.
    Manz warf mir einen unschlüssigen Blick zu, seine Hand war immer noch ausgestreckt. Ich hob und senkte die Arme und wandte meinen Blick vielsagend zur Decke.
    »Ich bin nämlich blind«, sagte Kaminski.
    »Natürlich!« sagte Manz. »Ich meine, ich weiß das. Ich weiß alles über Sie. Ich bin Eugen Manz von ArT.«
    »Ja«, sagte Kaminski.
    Manz entschloß sich, die Hand zurückzuziehen. »Was führt Sie hierher?«
    »Möchte ich auch wissen.«
    Manz lachte auf, wischte sich noch einmal die Tränen weg und rief: »Also das gibt es doch gar nicht!« Zwei Leute mit Gläsern blieben stehen: die Fernsehredakteurin Verena Mangold und Alonzo Quilling selbst. Als ich Quilling zuletzt gesehen hatte, hatte er einen Bart getragen; jetzt war er glattrasiert und hatte einen Zopf und eine Brille.
    »Schaut mal!« sagte Manz. »Manuel Kaminski!«
    »Was ist mit dem?« fragte Quilling.
    »Er ist hier«, sagte Manz.
    »Wer?« fragte Verena Mangold.
    »Glaube ich nicht«, sagte Quilling.
    »Wenn ich es doch sage!« rief Manz. »Herr Kaminski, das ist Alonzo Quilling, und das...« Er sah Verena Mangold unsicher an.
    »Mangold«, sagte sie schnell. »Sie sind auch Maler?«
    Hochgart trat zu uns und legte seinen Arm um Quillings Schulter. Der zuckte zurück, erinnerte sich, daß es sein Galerist war, ließ es geschehen. »Gefallen euch die Bilder?«
    »Um die geht es jetzt nicht«, sagte Manz. Quilling sah ihn erschrocken an. »Das ist Manuel Kaminski.«
    »Weiß ich«, sagte Hochgart und blickte suchend um sich. »Hat einer von euch Jablonik gesehen?« Er schob die Hände in die Taschen und ging davon.
    »Ich schreibe ein Buch über Manuel«, sagte ich. »Aus diesem Grund müssen wir natürlich...«
    »Ich bin ein Bewunderer Ihres Frühwerks«, sagte Quilling.
    »Wirklich«, sagte Kaminski.
    »Mit den späteren Sachen habe ich Probleme.«
    »Ist dieses Grasstück in der Tate Gallery von Ihnen?« fragte Manz. »Das hat mich ja umgeworfen!«
    »Das ist von Freud«, sagte Kaminski.
    »Freud?« fragte Verena Mangold.
    »Lucian Freud.«
    »Mein Fehler«, sagte Manz. »Sorry!«
    »Ich will mich setzen«, sagte Kaminski.
    »Es ist nämlich so«, erklärte ich bedeutungsvoll, »daß wir gemeinsam auf der Durchreise sind. Mehr darf ich nicht erzählen.«
    »Guten Abend«, sagte ein grauhaariger Mann. Es war August Walrat, einer der besten Maler des Landes. Die Kenner schätzten ihn, er hatte aber nie Erfolg gehabt; irgendwie hatte es sich nicht ergeben, daß eines der wichtigen Magazine über ihn geschrieben hatte. Nun war er zu alt, und es war einfach nicht mehr möglich, er war zu lange da und die Gelegenheit vorbei. Er war besser als Quilling, das wußte jeder. Er wußte es auch, und sogar Quilling wußte es. Trotzdem hätte er nie eine Einzelausstellung in Hochgarts Galerie bekommen.
    »Das ist Manuel Kaminski«, sagte Manz. Die dünne Frau legte ihm die Hand auf die Schulter und drückte sich an ihn, er lächelte sie an.
    »Der lebt doch nicht mehr«, sagte Walrat. Verena Mangold sog die Luft ein, Manz ließ die Frau los, ich sah Kaminski erschrocken an.
    »Wenn ich mich nicht bald setzen kann, stimmt das.«
    Ich faßte Kaminski am Ellenbogen und führte ihn zu den an der Wand aufgereihten Stühlen. »Ich schreibe Manuels Lebensgeschichte!« sagte ich laut. »Deshalb sind wir hier. Er und ich. Wir.«
    »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte Walrat. »Das war nur, weil Sie ein Klassiker sind. Wie Duchamp oder Brancusi.«
    »Brancusi?« fragte Verena Mangold.
    »Marcel war ein Poseur«, sagte Kaminski. »Ein alberner Angeber.«
    »Darf ich Sie mal interviewen?« fragte Manz.
    »Ja«, sagte ich.
    »Nein«, sagte Kaminski.
    Ich nickte Manz zu und streckte die Hand aus: Abwarten, ich würde das arrangieren! Manz sah mich verständnislos an.
    »Duchamp ist wichtig«, sagte Walrat. »Er ist jemand, an dem man nicht vorbeikommt.«
    »Wichtigkeit ist nicht wichtig«, sagte Kaminski. »Malen ist wichtig.«
    »Ist Duchamp auch hier?« fragte Verena Mangold.
    Kaminski ließ sich stöhnend auf einen Klappstuhl nieder, ich stützte ihn, Manz beugte sich neugierig über meine Schulter. »Du weißt ja gut über ihn Bescheid!« sagte ich leise.
    Er nickte. »Ich habe mal seinen Nachruf geschrieben.«
    »Was?«
    »Vor zehn Jahren, als Kulturredakteur bei den Abendnachrichten. Nachrufe auf Vorrat waren mein Hauptgeschäft. Gut, daß die Zeit vorbei ist!«
    Kaminski zog den Stock an sich,
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