Ich versprach dir die Liebe: Roman (German Edition)
natürlich auch«, erklärte Elle.
»Hochbegabt, genau wie du.« Ich trat einen Schritt näher, um besser sehen zu können.
»Willst du sie einmal in den Arm nehmen?«
Ich nickte, obwohl mir ganz anders zumute war.
Elle legte mir das Deckenbündel in die Hände. Es wog so gut wie nichts. Als wäre es gar nicht da.
»Es tut mir so leid, Matt.« Elle rieb sich die Augen.
»Warum?«
»Sicher liegt es an mir. Alles um mich herum hat mit Tod zu tun. Bei mir zu Hause, in meinem Körper – überall. Es tut mir entsetzlich leid.«
Ich setzte mich zu Elle auf den Bettrand und küsste ihr Haar. »Nein, Peep, es ist bestimmt nicht dein Fehler.« Es musste an mir liegen. Ich hatte befürchtet, dass Elle das Baby nicht aufgeben würde, und ihr das übelgenommen. Aber nachdem ich Selina gesehen hatte, wurde mir klar, dass auch ich sie nicht zur Adoption hätte freigeben können.
Mom klopfte, schlüpfte ins Zimmer und setzte sich auf einen Stuhl in der Ecke. Ihre Augen waren gerötet. »Wenn ihr bereit seid, wird sie fortgebracht. Elle wird gleich in ein normales Krankenzimmer verlegt.«
»Fortgebracht? Was wird mit ihr gemacht?« Elle nahm mir das Baby ab und drückte es an sich.
»Manche Leute entscheiden sich für eine Beerdigung, aber die meisten überlassen einen so früh geborenen Fetus dem Krankenhaus.« Mom meinte, dass man sie entsorgen würde.
»Nein. Ich bin für Beerdigung«, sagte ich.
»Dem Krankenhaus überlassen – um Himmels willen!« Elle schüttelte den Kopf. »Aber sie begraben? Ich kann meinem Dad doch nichts davon erzählen! Jedenfalls nicht, solange bei uns zu Hause keine Ruhe eingekehrt ist. Was sollen wir tun, Linney?« Elle brach in Tränen aus.
Minutenlang schluchzte sie vor sich hin. Ich nahm sie und das Baby in die Arme.
»Eigentlich bin ich dagegen, Hank nichts zu sagen, aber in diesem Fall ist es vielleicht wirklich das Beste. Ich werde mich darum kümmern, dass die Rechnung an uns geschickt wird. Und die Alternative zu einer Beerdigung wäre eine Feuerbestattung. Dad und ich würden dafür aufkommen. Ihr bekommt die Urne mit der Asche und könnt sie entweder irgendwo begraben oder sie ins Wasser streuen – wie immer ihr wollt.«
»Feuerbestattung?« Man würde sie verbrennen? Mir wurde speiübel. »Nie und nimmer.«
Elle wischte sich über das Gesicht. »Das ist schon okay, Matt.« Wieder begann sie zu weinen. Mit einer Hand trocknete sie ihre Tränen, mit der anderen drückte sie das Baby an ihr Herz. »Du kennst doch den Song ›Woodstock‹. Da heißt es: ›We are stardust‹. Und das stimmt. Wir sind wirklich aus Sternenstaub. Alles auf dieser Erde ist eigentlich Asche.« Ihre Stimme versagte.
Eine Schwester trat ein. »Wir müssen dich verlegen, Elle. Bist du bereit, Liebes?«
»Du wirst mir fehlen.« Elle drückte einen Kuss auf Selinas kleines Köpfchen und reichte mir das Baby.
Sie würden die Kleine verbrennen – da half auch kein Schönreden. In meinem Kopf drehte sich alles. »Es tut mir leid«, flüsterte ich Selina zu.
Mom nahm mir das Baby ab. Sie hatte ebenfalls Tränen in den Augen. »Komm zu mir, kleiner Engel. Ich wünschte, ich hätte dich kennenlernen dürfen.«
Seither versuche ich jedes Jahr, die Perseiden zu sehen. Es scheint endlos lang her zu sein, dass Elle und ich zum ersten Mal aufblieben, um sie vom Haus ihres Großvaters aus zu beobachten. Das Haus gehört jetzt uns. Selina wurde nicht lang nach der ersten gemeinsamen Nacht gezeugt, in der wir den Sternschnuppenschwarm beobachteten. In späteren Jahren bin ich manchmal stundenlang herumgefahren, um eine Stelle zu finden, die frei und dunkel genug war, um auf das Autodach zu steigen und dem Himmelsfeuerwerk zuzuschauen. Und immer glaubte ich, dass Selina wusste, dass ich an sie dachte. In manchen Jahren, als es keine Alternativen gab, beobachtete ich den Sternschnuppenschwarm von Dach eines Hochhauses in New York aus und bildete mir ein, die dünnen Leuchtspuren sehen zu können.
Selina, unser kleiner Funke Sternenstaub.
14
Nach Elles Unfall · Tag 4
»Dann habt ihr Selina also verloren.« Jake schüttelte den Kopf. »Lag es an Elles Autoimmunproblem?«
»Vermutlich.« Ich nahm ein Buch aus dem Bücherregal, das ein Kapitel über das Antiphospholipid-Syndrom enthielt, und legte es vor ihm auf den Tisch. »Hier, ein wenig leichte Lektüre, wenn es dich so interessiert.« Ich öffnete einen Aktenschrank und entnahm ihm einen Ordner mit Zeitungsausschnitten über APS während der
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