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Ich war der Märchenprinz

Ich war der Märchenprinz

Titel: Ich war der Märchenprinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Piewitz
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Es kann nicht angehen, daß sie hinterher immer wütend ist und ich ein schlechtes Gewissen habe. Ständig in Frage gestelltes und problematisiertes Ficken ist doch eine Katastrophe. Aber daß ich eine Geschlechtsumwandlung durchführen lasse und lesbisch werde, kommt nicht in Frage...

    Die Wochenenden verbringe ich meist außerhalb Hamburgs. Kein Abschiedsschmerz, kein Bedauern. Stelle fest: ich habe keine »Beziehung«, die mir wichtiger wäre als meine politische Arbeit. Beim Vorbereitungstreffen für die Gorleben-Demo ergibt sich eine äußerst angenehme Nacht mit einer Genossin aus Freiburg. Kein schlechtes Gewissen, nichtmal ein leichtes Unwohlsein. Wenn ich das M. erzähle: Wie wird sie’s aufnehmen? Jedenfalls nicht wirklich easy. Sie wird’s problematisieren. Vielleicht wird sie verletzt sein. Ich will nicht, daß sie verletzt ist... Über das Thema »Treue« haben wir nie gesprochen. Vielleicht ist es ja auch gar kein Thema.
    Wäre ich verletzt, wenn sie während meiner Abwesenheit...? Nach längerem Grübeln komme ich zu dem Ergebnis: ich wäre weder verletzt noch traurig. Es wäre mir schlicht egal. Was ginge mir dabei schon verloren? Meinetwegen kann sie die Verhütungsdiskussion ruhig mit einem anderen Mann führen. Ich bin nicht eifersüchtig. Nicht in diesem Fall. Aber ich kann mir vorstellen, eifersüchtig zu sein. Ich habe es in mir drin, aus Eifersucht zum Mörder zu werden — ich weiß es, ich habe einem Typen, der sich an meine erste Liebe ranmachte, als ich so richtig hundertprozentig engagiert war, ich habe ihn total durchgeprügelt und über seinem Auto mehrere große Dosen Pattex ausgekippt — das ist der absolute Alleskleber. Das Auto konnte er wegschmeißen. Also, ich weiß, was Eifersucht ist. M. kann tun und lassen, was sie will — da würde mich nichts und niemand eifersüchtig machen. Es reduziert sich auf ein hygienisches Problem, aber reinlich ist sie ja.

    Wenn ich von meinen Terminen komme, bin ich oft total fertig und echt gestreßt. Sie: »Na, wie war’s?« Eine Frage, wie sie jede Buchhalter-Hausfrau stellt. Sie interessiert sich gar nicht wirklich für das, was abgelaufen ist. Sie fragt entweder aus Höflichkeit oder um überhaupt Anknüpfungspunkte für ein Gespräch zu haben. Was soll man da antworten?
    Von meiner politischen Arbeit hat sie keine Ahnung. Die Gewaltdiskussion hat sie nicht verfolgt, kennt nicht die Differenzen innerhalb der Linken. Zusammenhänge AKWs — Überwachungsstaat — Faschismus sind ihr nur vage bekannt. Vor AKWs hat sie einfach Angst; warum, kann sie nicht begründen. Verbindungen westdeutsche Atomindustrie — dritte Welt sind ihr nicht geläufig, und so weiter. Ich will es ihr ja gerne erklären, meinetwegen von Anfang an. Aber sie blockt ab. Es interessiert sie alles nicht. Interessant ist, wer da war und ein bißchen linker Klatsch und Tratsch. Und die Frage: »Was interessiert dich denn an mir? Warum sitzt du hier mit mir zusammen? Ist das wichtig für dich? Warum?« Sie will mich auf irgendetwas festnageln. Ich habe sie im Verdacht, daß sie am liebsten von mir hören würde: »Ich liebe dich.«
    Sie lauert darauf. Kreist mich immer enger ein.
    Wird aber nie direkt, würde niemals fragen: »Liebst du mich?« So eine bürgerliche Frage — da sei unser Szene-Tabu vor! Sie leidet unter der am weitesten verbreiteten Szene-Krankheit: sie ist manisch problem- und konfliktsüchtig. Keine Fähigkeit, irgendetwas in Ruhe abzuwarten. Bestimmte Gegebenheiten zu akzeptieren, das ist ihr unmöglich. Und den Augenblick mal nicht in Frage zu stellen, sondern nur zu genießen — das kann sie einfach nicht. Jede Äußerung von mir wird hin- und hergewendet, bis sie in ein von ihr entwickeltes Klischee hineinpaßt. Sie ist dabei, sich einen Traummann zu puzzlen, aber irgendwie ist ihr was durcheinandergeraten, und jetzt versucht sie es unter Zuhilfenahme eines Kriegsschiff-Puzzles. Jedesmal, wenn sie ein Stück vom Traummann-Puzzle erwischt, gerät sie schier außer sich vor Freude, weil sie der Liebe ihres Lebens wieder ein Stück näher gekommen ist, und jedesmal, wenn sie ein Teil vom Kriegsschiff in die Finger kriegt, will sie es mit Gewalt in ihr Softipuzzle hineinbasteln. Sie will mich »sanft« oder »weich« — unmännlich nannte sie es in ihrer Anzeige. Sie kann oder will nicht einsehen, daß frau aus mir keinen Softi herstellen kann. Man kann aus einem bissigen Schäferhund auch keine Miezekatze konstruieren. Aber diese simple Einsicht —

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