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Ich war der Märchenprinz

Ich war der Märchenprinz

Titel: Ich war der Märchenprinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Piewitz
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Wegen der Frisur und meines eisernen Gesichtsausdrucks. Wie zum Teufel soll Prinz Hustenreiz seinem Burgfräulein klarmachen, daß ihre Zärtlichkeit seine Poren durchaus durchdringt, und daß der physische Kontakt absolut schön für ihn ist, daß aber Zärtlichkeit, die durch die Poren dringt, noch lange nicht bis ins zentrale Nervensystem durchstößt...?
    Ist Prinz Hustenreiz schon deswegen eher Nero, weil seine Zärtlichkeit bei ihr einen Durchmarsch bis in die Hypophyse gemacht hat?
    Ich muß mir Zeit lassen. Bin ich sicher, daß sich bei mir nichts ändert? Na also. Vielleicht wächst da ja ganz heimlich was in mir, irgend ein Bäumchen der Erkenntnis, dem irgendwann ein Knopf aufgeht und die Augen überquellen, bis es »aha« sagt: Das ist sie doch, diejenige, welche, die einzige, da geht sie, die deine. Und zwar aus den und den Gründen: 1., 2., 3. — Die einzige, die für dich in Frage kommt. Wer weiß? Plötzlich eine Explosion — ich verstehe. Verstehe sie. Verstehe mich. Verstehe uns. Ich fände es gut, wenn es so wäre. Vielleicht passiert’s... Und deswegen muß ich mir Zeit lassen... Ich kann es mir nicht leisten, leichtfertig eine Sexualbeziehung zu beenden, bevor nicht eindeutig feststeht, daß daraus nicht auch noch mehr entstehen kann.
    Ich will mich bemühen, ich will mich anstrengen, ich will alles versuchen, ich muß offen sein. Es ist in meinem Interesse, daß die Explosion stattfindet. Ich genieße meine Beziehungslosigkeit ohne »—« keineswegs, ich wäre nur zu gern zu zweit.
    Aber kann ich’s etwa zwingen?
    Ich kann doch nichts für meine Assoziationen! Ich lese ihre Gedichte, und mir fallen nur schweinische Verse ein:
    Solang das deutsche Weib besteht, wird jede Schraube rechts gedreht.
    Oder
    Ficken ist gesund, macht den Pimmel dick und rund.
    Ich kann nichts dafür. Sowas fällt mir immer ein, wenn ich Lyrik lese. Das muß doch schiefgehen mit dieser »Beziehung«.
    Aber bin ich deswegen ein Schwein? Ein Verbrecher? Das streite ich glatt ab. Ich habe vielleicht eine Macke — aber wer mir nicht zu nahe kommt, kriegt die gar nicht mit. Niemand ist gezwungen, an meiner Macke Anstoß zu nehmen — es sei denn, jemand verliebt sich in mich. Aber dafür kann ich nichts, da muß ich jede Verantwortung ablehnen. Na also, mir geht’s gut. Echt.
    Wir gehen an der Elbe spazieren. Freundliche Stimmung, plaudern über’s Kinderkriegen, nichts Gravierendes. Wir wollen beide keine, und das wohl noch eine ganze Weile.

    Auf dem Heimweg möchte ich noch in eine Kneipe. Durst, schlichter Durst. Sie zottelt maulig hinterher. Sie will mich lieber mit einer Verhütungsdebatte überziehen. Sie hat mir eine Temperatur-Tabelle von sich in die Hand gedrückt, damit ich auch zu jeder Zeit weiß, in welcher Zyklusphase sie sich befindet. Ich überlege, ob ich mir das Ding gerahmt an die Wand hänge. Ist ja schließlich auch irgendwo ein Kunstwerk...
    Ich trinke ein Bier, rede kurz mit einer Frau aus meiner BI, nichts Besonderes. In der Kneipe ist nichts los, wir gehen schnell wieder. Gehen Richtung Heimat, kommen an der nächsten Kneipe vorbei, ich sage: »Wollen wir reingehen?«
    Sie sagt: »Warum willst du denn jetzt noch in die Kneipe?«
    Ich sage: »Ich will mal sehen, ob ich jemanden treffe, mit dem ich mich unterhalten kann.«
    Sie sagt: »Dann geh ich schon nach Hause.« Nimmt den Schlüssel, geht.
    Mir ist sofort klar, was ich da aus Versehen gesagt habe: die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Das muß brutal gewesen sein.
    Wenn ich vorher nachgedacht hätte, wäre der Satz so nicht rausgekommen. Ich hätte sowas gesagt wie »mächtigen Durst, laß doch mal gucken, vielleicht sitzen diese oder jener da« — und alles wäre in Ordnung gewesen. Aber ich habe die Wahrheit gesagt. Ich trinke zwei schnelle Biere, ich muß zu ihr nach Hause, ich will das wieder gerade biegen.
    Wenn sie konsequent nachgedacht und aus ihren Überlegungen die richtigen Schlüsse gezogen hat — dann wirft sie mich heute abend raus. Dann hat sie unsere »Beziehung« bereits beendet.

    Sie öffnet im Bademäntelchen, läßt mich ohne Kommentar rein, kriecht sofort unter die Bettdecke, zieht die Schultern hoch und bibbert. Das ist nichts Besonderes, das macht sie jeden Abend. Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Was soll ich erklären? Soll ich lügen? Mich dafür entschuldigen, daß ich die Wahrheit ausgesprochen habe? Ekelhafte Situation, wie geschaffen für Opportunisten. Aber welche Verhaltensweise ist in diesem

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