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Ich war Hitlerjunge Salomon

Ich war Hitlerjunge Salomon

Titel: Ich war Hitlerjunge Salomon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Perel
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Buch, Der Preis der Herrlichkeit , und
    äußerte den besonderen Wunsch, mich zu treffen. Sie wollte
    mir bei dieser Gelegenheit etwas überreichen. Dazu kam es
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    nicht. Sie starb Anfang 1992. Das erfuhr ich, als ich mich
    im Februar in München nach ihr erkundigte. Dank dieser
    Nichte also war von Münchows Ersuchen damals an einen
    Beamten in der Reichsjugendführung gelangt, der mich durch
    diese Begleiterin dann nach Braunschweig schicken ließ. Bis
    1987 hatte ich keine Ahnung davon gehabt, daß mich solch
    hohe Stelle protegierte. Dies erklärt zweifellos die Privilegien,
    die ich genoß. – Auf einem Berliner Bahnhof verabschiedete
    ich mich von meiner Begleiterin und versprach zu schreiben.
    Dann stieg ich in den Zug nach Hannover, wo ich in einen
    Zug nach Braunschweig umsteigen mußte. Er durchfuhr einige
    mit Fronturlaubern überfüllte Bahnhöfe. Immer wieder sah
    ich Schilder mit der Aufschrift: »Räder rollen für den Sieg«.
    Die ganze Reise über sah ich aus dem Fenster. Ich wollte
    nachprüfen, ob meine Begleiterin recht gehabt hatte, ob die
    deutschen Kühe wirklich sauberer waren … Sie waren es, aber
    was spielte das für eine Rolle! Rechtfertigte dies das schänd-
    liche, bestialische Verhalten der Mehrzahl ihrer Landsleute?
    Ich war in Gedanken versunken, als der Zug nochmals
    hielt. Großer Gott, diesen Ort kannte ich gut. Ich entdeckte
    sofort das Bahnhofsschild PEINE. Ein merkwürdiges Ge-
    fühl beschlich mich. Ich ermaß die sonderbaren Wege des
    Schicksals: Hier hatten meine schmerzlichen Wanderungen
    nach Osten ihren Anfang genommen, hierher brachte mich
    das Leben ein zweites Mal zurück. Die mit diesem Bahnhof
    verbundenen Erinnerungen gehörten meiner alten Identität an,
    brachen aber zwischen Vergangenheit und Gegenwart hervor
    und weckten nun heftiges Heimweh in mir.
    Mein Blick blieb an dem Bahnhofsschild hängen. Der
    weiße Untergrund war rußgeschwärzt. Die gleiche braune
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    Wolke, über die sich die Einwohner schon damals beklagt
    hatten und die von dem großen Hüttenwerk der Stadt, dem
    »Peiner Walzwerk«, verursacht wurde, bedeckte noch immer
    den Himmel. Ich blickte über die geschlossenen Bahnschran-
    ken hinweg, deren Läuten den Verkehr auf beiden Seiten der
    Stadt zum Stillstand gebracht hatte. Die Automobile hielten,
    die Radfahrer stützten sich mit einem Fuß auf der Erde ab,
    die Kinder lächelten fröhlich in den Qualm hinein, der in
    die Luft quoll. Ich wollte alles in mich aufsaugen, besah mir
    jede Einzelheit. Ich konnte mich des seltsamen Gefühls nicht
    erwehren, dies hier sei eine andere Welt. Das Rütteln des
    anfahrenden Zuges machte diesem schwer erträglichen Blick
    auf den verbotenen Ort meiner Kindheit ein Ende.
    Wenig später traf ich in Braunschweig ein und begab mich
    in das Büro des Bahnhofsvorstehers, so wie man mir befohlen
    hatte. Bei meinem Eintritt erhoben sich sogleich zwei junge
    Männer in braunen Uniformen mit den gezackten Blitzzei-
    chen auf der Brust, schwarzen Stiefeln und verschiedenen
    Naziabzeichen und Hakenkreuzen auf den Ärmeln. Ich war
    erschreckt. Mir fuhr durch den Kopf: Wenn mich solche
    Leute in Empfang nehmen, wo werde ich dann landen, in
    wessen Hände werde ich fallen?
    Mit einem kleinen Lächeln fragten sie mich, ob ich Josef
    Perjell aus Berlin sei. Ich nickte, und sie forderten mich auf,
    sie zu begleiten. Sehr höflich halfen sie mir beim Tragen
    meines Gepäcks. Wir setzten uns in einen neuen Volkswagen
    und fuhren sofort ab. In meinem Kopf herrschte ein solcher
    Nebel, daß ich nur kurz mit ja oder nein auf ihre freundlichen
    Fragen antwortete, die ich nicht ganz begriff.
    Als ich die Straßen der Stadt betrachtete, auf denen es von
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    gut genährten Leuten wimmelte, verwischte sich mein Eindruck,
    in ein Land von Kannibalen verschlagen worden zu sein, für
    die ich bald ein leichtes und besonders schmackhaftes Opfer
    sein würde. Meine Gedanken überstürzten sich, und beinahe
    hätte ich einmal gefragt: »Wohin fahren wir?« Doch meine
    Stimme hätte meine Angst verraten, und so blieb ich stumm.
    Nach einer etwa halbstündigen Fahrt waren wir am Ziel.
    Der Wagen hielt vor einem großen, modernen Gebäude. Auf
    der Fassade wehten die Nazi-Fahnen. Ich werde den Schreck,
    der mir in die Glieder fuhr, niemals vergessen.
    Das Gebäude schien ausgezeichnet instandgehalten. Ein
    riesiger Innenhof diente als Versammlungsfläche, hinter einer
    Stele und der Bronzestatue eines tapferen Soldaten stand

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