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Ich war Hitlerjunge Salomon

Ich war Hitlerjunge Salomon

Titel: Ich war Hitlerjunge Salomon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Perel
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Luisenhof. Jetzt
    verkündete hier eine riesige Aufschrift: »Deutsche Arbeitsfront
    – Ortsgruppe Peine«. Der weitläufige Innenhof umfaßte früher
    einen Schweinestal , eine Scheune und ein Pissoir. Es erübrigt
    sich wohl, die Geruchsmischung zu beschreiben, die daraus
    entstand. Als ich noch hier wohnte, hatten mich die Trunken-
    bolde, die nach ihrem Bierkonsum urinieren gingen und dabei
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    mit ihren unmelodischen Stimmen Gassenhauer grölten, immer
    erschreckt. Sie führten Selbstgespräche und beschimpften al es,
    was ihnen auf dem Weg in die Quere kam. Jedes Schlachtfest
    sah mich als interessierten Zuschauer. Ich war fasziniert von
    den quiekenden Schreien des Schweines und bewunderte die
    geschickten Hände, die die Tötung vol zogen. Dann war da
    noch die Scheune mit den Heuballen, in der wir mit Clara,
    Thea und Hans heimlich »Vater-Mutter-Kind« spielten.
    Im großen Saal hielten die örtlichen kommunistischen und
    sozialdemokratischen Parteien bisweilen Versammlungen ab. Ich
    hörte mir dann die leidenschaftlichen Reden an, ohne natürlich
    zu begreifen, worum es ging. Verstanden hatte ich nur, daß
    nach dem Scheitern des gemeinsamen Bündnisses gegen den
    Nationalsozialismus ein Streit entbrannt war. Sie lagen sich
    in den Haaren, bis sich das bekannte Sprichwort bestätigte:
    Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Meist gingen
    die Versammlungen unfriedlich zu Ende. SA-Männer, begleitet
    von Hitlerjungen, stürmten oft genug den Saal. Manchmal
    wurden auch die Dolche und Messer gezogen und etliche
    Teilnehmer verletzt. Einer der Saaldiener, der Metzgerlehrling
    Emil, einer der besten Freunde meines Bruders, wurde eines
    Tages bei solch einem Zusammenstoß totgeschlagen. Die Po-
    lizei griff erst sehr spät ein und verhaftete dann jene, die zu
    den Angegriffenen gehörten.
    Von Anfang an hatte ich den Vorsatz gehabt, bei meinem
    Besuch in Peine die Bierhalle zu meiden. Das schien mir ein
    Selbstmord gleichkommender Leichtsinn zu sein. Ich erinnere
    mich nicht mehr, wie es kam, daß ich plötzlich an einem der
    kleinen viereckigen Tische saß. Eine unwiderstehliche Kraft
    hatte mich in die Kneipe gezogen.
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    Die Gäste schlürften schäumendes Bier aus riesigen Krügen.
    Dicker Qualm hing in der Luft. Am Stammtisch nahmen die
    Meiners’ ihr Mittagessen ein. Mutter Meiners, noch immer so
    korpulent, hatte sich nicht verändert. Auch die Glatze ihres
    Ehemannes leuchtete wie ehedem. Aus den Töchtern waren
    anmutige junge Frauen geworden. Hans war nicht dabei. Ich
    vermutete, daß er bereits eingezogen worden war. Ein eisiger
    Schreck durchfuhr mich plötzlich, ich hätte sofort aufstehen
    und gehen müssen. Aber wie festgenagelt blieb ich sitzen,
    die Beine aus Blei. All meine Alarmmechanismen versagten,
    meine gewöhnlich so geschärften Sinne waren funktionsunfä-
    hig. Wie hätte ich mich sonst in eine derartige Lage bringen
    können? Die Familie Meiners hatte früher liberale, politisch
    eher linke Anschauungen vertreten. Es war anzunehmen, daß
    sie ihren Überzeugungen treu geblieben war, aber konnte man
    wissen, in welchem Maß sie sich von der Nazipropaganda
    hatte beeinflussen lassen, wie so viele Leute? Diese verbotene
    Begegnung von Vergangenheit und Gegenwart konnte eine
    Katastrophe für mich heraufbeschwören. In Peine geboren,
    in Peine verloren? Ich bereute mein leichtsinniges Verhalten
    bitter; ich hatte dem Befehl meiner Mutter, um mein Leben
    zu kämpfen, zuwidergehandelt. Aber jetzt gab es kein Zurück
    mehr. Die erste, die den neuen Gast bemerkte, war Clara. Sie
    legte ihr Besteck nieder, wischte sich die Hände ab und erhob
    sich, um meine Bestellung aufzunehmen. Bang sah ich den
    Dingen entgegen. Doch die Würfel waren gefallen.
    Mit dem geschäftsmäßig höflichen Lächeln einer Kellne-
    rin näherte sich Clara meinem Tisch. Ich bot meine letzten
    Kraftreserven auf, um Ruhe zu bewahren. Ich wollte gelassen
    erscheinen, um keinen Argwohn zu erregen. Und vor allem
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    wollte ich jeden Blickkontakt vermeiden. Was würde jetzt ge-
    schehen? Würde sie es wagen, mich zu fragen, ob ich Sal y sei?
    Oder wäre sie so unsicher, daß sie lieber nichts sagte? Denn
    vor ihr saß ja ein tadelloser Hitlerjunge, ein Scharführer in
    all seinem Glanz. Auch wenn ich aussähe wie Sally, würde
    sie dies nicht für möglich halten. Daß ich Sally sein könnte,
    war völlig undenkbar.
    Ich bestellte ein gemischtes Bier, halb dunkel, halb hell.
    In dieser Sekunde verlor ich

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