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Ich war nur kurz bei Paul

Ich war nur kurz bei Paul

Titel: Ich war nur kurz bei Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herfried Loose
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nehmend, die Treppen herauf. Heute klang das ganz anders. Pauls Lächeln erlosch; in seine Augen trat ein Schatten von Sorge. Er ließ die Tür angelehnt, Karlchen äugte von oben durch das Geländer in den Treppenhausschacht.
       Rasch schob Paul das Geburtstagsgeschenk hinter den Wäscheständer. Er hatte gehofft, dass der Junge heute kam und mit dem Tee gewartet. Schnell ergänzte er den gedeckten Küchentisch um eine Tüte mit Schokoladen-Keksen. An Ralfs Platz stand ein selbstgebackener Marmorkuchen - mit einer weißen Kerze darauf. Mit leicht zitternder Hand zündete Paul sie jetzt an.
       Da trat der Junge auch schon ein, und Karlchen vollführte seinen zweibeinigen Veitstanz - heute heftiger als sonst. Mit dem Tier auf dem Arm kam Ralf näher, sah die kleine Geburtstagstafel mit der entzündeten Kerze auf dem Kuchen und seine Augen rundeten sich vor Überraschung. »Woher wusstest du, dass ich Geburtstag hatte?« Karlchen sprang runter und verzog sich in seinen Karton.
        »Tach, Junge! Schön, dass du den alten Paul mal wieder besuchst. Glückwunsch auch - zu deinem Vierzehnten! Setz dich!«
       »Paul, du hast mir nicht geantwortet! Woher wusstest du, dass gestern mein Geburtstag war?«
       »Ich hatte dich beim Angeln einmal nach deinem Sternzeichen gefragt, und als du Stier sagtest, da hattest du mir gleich eine Quizfrage gestellt und mich gefragt, an welchem Datum der wohl sei? Als Hilfestellung sagtest du noch: Mein Geburtstag fällt immer auf einen Sonntag!, daraufhin korrigierte ich dich: Er fällt immer auf einen Feiertag, das ist ein Unterschied! Erinnerst du dich nicht mehr?«
       »Stimmt! Das war doch, als wir den kleinen Wels mit dem Kescher rausgeholt haben«
       »Genau!«
       »Dass du das behalten hast, und Marmorkuchen...« Das Gesicht des Jungen hellte sich auf. Paul freute sich über seine gelungene Überraschung.
       »Ich hab auch noch ein nachträgliches Geburtstags-Geschenk für dich. Mach mal die Augen zu!«
       Ralf kniff die Augen zusammen. Paul zog das Geschenk hinter dem Wäscheständer hervor und drückte es ihm in die Hand. Ohne die Augen zu öffnen, fühlte Ralf sofort, was es war. »Ein echtes Mountainbike-Vorderrad! Wahnsinn!«, schrie er, und freute sich. Die groben Profilstollen des Mantels hatten noch die seitlichen Gummiguss-Stacheln an den Flanken und dadurch sah er aus, wie eine dicke Riesenraupe mit tausend zarten Füßen am Rumpf.
       »Das ist echt klasse, danke Paul!«
     
    Ralf drehte sich um und reichte seinem Freund die Hand. Paul nahm sie in beide Hände und sagte: »Naja, unter Freunden denkt man sich doch zum Geburtstag eine kleine Überraschung aus, oder? Mein Vorderrad, das wir vor Wochen an deinem Fahrrad montierten, passt ja nun wirklich nicht zu einem echten Mountainbike!« 
       Daran hatten sie damals nicht gedacht: Es war zwar ein 26er Vorderrad, aber die Felge war zu schmal für den wulstigen Mountainbike-Mantel, und so war Ralf, in Ermangelung eines besseren Ersatzes, erst einmal mit dieser Notlösung gefahren. Paul sah, dass Ralf glücklich und linkisch lächelnd das neue Vorderrad bewunderte.
       »So, Jung, nu setz dich! Sonst kleckert die Kerze noch auf deinen Kuchen.« Paul schnitt eine dicke Scheibe ab und legte sie auf Ralfs Teller. Dann schenkte er ihnen beiden Tee ein. »Na, wie waren deine Ferien und vor allem, wie war dein gestriger Geburtstag und dein heutiger Schulanfang?«
       »Ich war nur eine Woche in Silberstedt - war ganz gut.«
       »Nur eine Woche? Das wundert mich aber. Du warst doch immer so gern bei deinen Freunden?«
       »Ja, ich weiß auch nicht. Es war anders als ich dort noch wohnte. Mir kommt jetzt alles so gezwungen vor, ich kann das nicht richtig erklären.«
       »Ich glaub, ich weiß schon, was du meinst. Die Nähe und Vertrautheit fehlen. Man muss sich erst durch langes Erzählen gegenseitig auf den neuesten Stand bringen und dann ist es nicht mehr so, als hätte man alles gemeinsam erlebt. Ist es nicht so?« Ralf nickte. »Und, hat dein Vater etwas mit dir unternommen?«
       »Mein Erzeuger? Das ist doch ein Idiot! Der kann mich mal...!«
       »Nana, Ralf! So spricht man aber wirklich nicht von seinem Vater. Was hat er gemacht?«
       »Gemacht? Wenn er man etwas gemacht hätte! Dauernd war er unterwegs und meinen Geburtstag hat er auch vergessen! Ich habe ihm dreimal gesagt, dass ich neue Fußballschuhe brauche. Er hat auch genickt, als ich das erzählte und - was war?

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