Ich war nur kurz bei Paul
Nägel. Er war ein wenig enttäuscht, dass die anderen offensichtlich bereits ihren Ferienaktivitäten nachgingen.
»Wie war euer Morgenlauf?« Hatte er richtig gehört? Seit wann begann Nadine ein Gespräch mit ihm?
»Ging so!«
»Konntest du mit Papa mithalten?«
»Pah, wieso denn nicht? Ich spiele schließlich Fußball, da trainieren wir zweimal die Woche.«
»Das hörte sich von Papa ganz anders an. Er hat gesagt, dass er es mit der Jugend noch allemal aufnehmen kann und dass er ein paar Mal den Lauf unterbrechen musste, weil du nicht mehr konntest und Seitenstiche hattest.«
»Hä? Spinnt der? Ich hatte keine Stiche, und wir sind ununterbrochen gelaufen, außer hier draußen auf dem steinigen Kiesweg. Wir waren ja barfuss.«
Nadine kicherte. »Ist dir das peinlich? Kannst du doch ruhig zugeben, dass Papa einfach stärker ist.« Ralf zog es vor zu schweigen. Blöde Zicke. Hatte der Alte das wirklich gesagt? Er konnte es nicht glauben. Er würde ihn morgen fertigmachen. Der konnte was erleben!«
Missgelaunt verdrückte er sein Müsli und stopfte sich obendrein noch zwei Brötchen hinterher. Nadine sah einige Male zu ihm herüber - er bemerkte es aus den Augenwinkeln. Offensichtlich hatte sie noch mehr auf Lager. Er war nicht neugierig darauf zu erfahren, was es war. Schließlich raffte sie sich doch auf, räusperte sich, und ließ die Nagelfeile sinken. »Sag mal, hat Mutti eigentlich wieder einen Freund?«
»Wieso wieder? Hatte sie schon einmal einen?«
»Weiß nicht, ich frag ja dich.«
»Glaub nicht, aber selbst wenn, was geht's dich an?«
»Kommt Mama denn zurecht, so ganz ohne uns? Weint sie manchmal?« Komisches Gespräch, irgendetwas führte sie doch im Schilde...
»Auf Papa kann sie bestimmt gut verzichten und auf dich auch. Du wolltest ja nicht mit uns nach Lübeck ziehen. Wir kommen gut allein zurecht, außerdem hat sie ja mich. Wo sind denn die Alten hin?«, versuchte er nun das Thema zu wechseln.
»Na, wohin wohl? Zum Tennisplatz, mit Koschkas von nebenan. Sie wollten Doppel spielen. Es gibt eine Halle, fünf Kilometer von hier. Lucie ist mit den anderen Gören unterwegs. Meinst du wirklich nicht, dass ich ihr fehle?«
Himmeldonnerwetter, was war bloß mit seiner Schwester los, so kannte er sie überhaupt nicht. »Nö, bestimmt nicht. Mama ist froh, dass sie sich endlich einmal um sich selbst kümmern kann und nicht mehr nur die Dienstmagd für euch geben muss!«
Das hatte hoffentlich gesessen. Nadine zog einen Flunsch und feilte noch heftiger; das Gespräch war beendet. Bevor Ralf hinunter zum Strand ging, deckte er den Tisch ab und stellte die Lebensmittel in den Kühlschrank. Nadine rührte keinen Finger.
Die erste Urlaubswoche war fast um - das Ferienalltagsleben hatte sich eingependelt. Zum Glück war das Wetter sonnig und warm, wenn auch ein steter, niemals enden wollender Westwind wehte. Wenn sie am Strand lagen, mussten sie deshalb immer die Strandmuschel mitnehmen, sonst liefen sie Gefahr, von den vom Wind vor sich her getragenen Sandmengen, wie unter einer Wanderdüne begraben zu werden. Am Strand hatten sich Teenager zu Gruppen zusammengefunden und spielten Volleyball oder Strand-Pingpong.
Barbara hatte sich zu einem Kursus bei der Kitesurfing-Schule angemeldet. Sie sah mit der ausgeliehenen Schutzkleidung supercool aus. Seinen Vater zog es mehr zum Tennisspielen. Wenn Barbara beim Surfen war, zog er des Öfteren mit Hanna Koschka los zum Spielen. Ihr Mann, Rainer, spielte noch nicht so lange und wollte keine Spaßbremse sein. Er lag deshalb lieber stundenlang auf seiner blauen Klappliege am Strand und ölte sich in Stundenintervallen ein. Er war schon unglaublich braun, wie ein gar gegrilltes Kotelett.
Nadine war viel mit deren Tochter Denise zusammen. Sie war ein Jahr älter als Nadine und wohl das letzte Mal mit ihren Eltern zusammen in Urlaub. So sagte sie jedenfalls. Schließlich sei sie nun erwachsen und habe andere Interessen. Nächstes Jahr wolle sie vom ersparten Azubi-Lohn nach Ibiza fliegen. Sie war im letzten Jahr ihrer Ausbildung zur Medienkauffrau. Nadine bewunderte Denise rückhaltlos.
Die ersten Tage in Dänemark war es für Ralf ungewohnt, in dieser neuen Konstellation zusammenzuleben. Wenn sie früher, als ihre Mutter noch die Familie zusammenhielt, ihre Urlaube in Ferienhäusern verbrachten, war das ganz anders abgelaufen: Es hatte regelmäßige,
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