Ich war nur kurz bei Paul
gemeinsame Mahlzeiten und Unternehmungen gegeben. Darüber hatten sie als Kinder zwar manchmal gemurrt, aber es war auch auf eine bestimmte Weise schöner, geborgener, heiler gewesen. Jetzt bildeten sie eher eine lose zusammen gewürfelte Gruppe, in der jeder seiner Wege ging. Das brachte zwar viele Freiheiten mit sich, aber es fehlte auch etwas. Was das genau war, wusste Ralf nicht zu sagen, aber er fühlte, dass er sich nach den früheren Urlauben zurück sehnte.
Doch heute Nachmittag stand tatsächlich einmal ein gemeinsamer Programmpunkt an: Barbara machte heute ihre Abschlussprüfung bei ihrem Kitesurfing-Kursus. Die Surfschule machte daraus gern ein kleines Event; mit Punktevergabe, Bratwurst und Sangria. Um sechzehn Uhr sollte es losgehen. Koschkas wollten auch mitkommen und dabei sein.
Barbara wirkte aufgekratzt. Das Wasser hatte fast seinen Höchststand erreicht und der Wind blies, wie auf Bestellung, mit guten sechs Windstärken. Mächtige Brecher rollten heran und warfen sich ohne Unterlass an den Strand. Die Kiter-Gruppe bestand ursprünglich aus acht Leuten, zwei hatten aber aufgegeben und zwei weitere trauten sich bei dem heutigen Sturm nicht hinaus.
Die verbliebenen vier, Barbara und drei Männer, alle jünger als sie, wurden vom Kite-Lehrer in ihre Aufgaben eingewiesen. Dann ging es los. Über Lautsprecher wurde das Publikum herangelockt. Alle warteten gespannt darauf, was ihnen wohl geboten würde. Wegen der starken Brandung hatte man von einem Dreieckskurs abgesehen, sondern man wollte einen gelungenen Strandstart mit Helfern sehen, und einen Wasserstart, ganz auf sich allein gestellt. Zudem sollte die Zeit genommen werden, die die Kiter brauchten, um von einer Buhne zur übernächsten zu gelangen. Draußen, außerhalb der sich auftürmenden Dünung, kurvte das knallgelbe Schulboot mit dem Lehrer und einer zweiten Person, die steuerte.
Am Strand machte sich das Starterteam bereit, um das Kite der Nummer Eins , eines langmähnigen Adonis mit breiter Brust aufsteigen zu lassen. Die Gruppe der Gaffer wuchs derweil stetig an - das Spektakel wollte sich schließlich niemand entgehen lassen. Ralf wartete auch gespannt und bewunderte Barbara für ihren Mut. Er hätte sich bei einer solchen Brandung wohl nicht getraut, so etwas zu versuchen.
Er stand in der vordersten Reihe, um besser sehen zu können. Sein Vater stand neben Frau Koschka, Lucie war nicht da und Nadine stand mit Denise und einer Gruppe junger Männer zusammen, die albern lachten und Späße zu machen schienen. Barbara stand beim Starterteam. Das rote Kite der Nummer Eins schoss in die Höhe und mit einem Ruck fuhr Adonis mitten in die Welle und - Ralf konnte es kaum glauben, flog plötzlich mit irrwitziger Fahrt durch die Luft, setzte über den Wellenkamm hinweg und war für Sekunden von dem Wellenberg verdeckt, nur das Segel stand stabil am Himmel, dann tauchte er wieder auf.
Donnerwetter, welch ein cooler Sprung! Der würde bestimmt Sieger werden. Dann schallte blechern eine Megafon-Anweisung des Lehrers vom Boot her, und der Surfer ließ das Kite erschlaffend auf die Wasseroberfläche sinken.
Wasserstart! Es dauerte. Adonis schien mit den Vorbereitungen zu kämpfen. Sie hörten undeutliche Plärrgeräusche aus dem Megafon, der Wind ließ die Wortfetzen wie Gischt zerstäuben, machte sie unverständlich. Dann, wie aus dem Nichts, erhob sich das Kite erneut, schon fetzte der Surfer wieder durch die Wogen, nahm Kurs auf die äußerste rechte Buhne, bereit, das Zeitfahren zu absolvieren.
Er machte eine Powerhalse, flitzte nun parallel zum Strand mit atemberaubender Geschwindigkeit durch die Wellen, dabei zwei- dreimal mit spektakulären Sprüngen Wellenkämme überspringend. Das Publikum applaudierte begeistert.
Der nächste Surfer war augenscheinlich ein Unglücks-Rabe, nichts gelang ihm - demoralisiert gab er nach der dritten Bruchlandung auf und entstieg erschöpft den Fluten.
Nummer Drei hatte eine glücklichere Hand; zwar klappte der Strandstart erst beim zweiten Mal aber dann waren ihm die Surfgötter hold und er legte eine tolle Fahrt hin. Danach kam Barbara dran. Als einzige weibliche Teilnehmerin zog sie in besonderem Maße die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich. Ihr schwarz-gelbes Kite stieg knatternd in den Nordsee-Himmel, und los ging die wilde Fahrt. Sie machte eine gute Figur, das musste Ralf ihr lassen. Ihre Sprünge waren nicht so spektakulär wie die von
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