Ich weiss, dass du luegst
der Vater Ronnies zu erwartende Emotionen im Fall einer Lüge (Angst und Schuld) bewertet hatte und er davon ausgehen konnte, dass Ronnie die Wahrheit sagt, war noch ein weiterer Schritt nötig, um Fehler bei der Interpretation von Täuschungshinweisen zu verringern. Sollte Ronnie die Wahrheit sagen, würde er keine Emotionen fühlen, die den Anzeichen für Angst und Schuld ähneln und deshalb womöglich das Urteil des Vaters beeinträchtigen könnten. Ronnie könnte wütend auf den Schuldirektor sein, der ihn irrtümlicherweise einen Dieb genannt hatte. Deshalb müssten Anzeichen für Wut aus der Betrachtung ausgeschlossen werden, vor allem, wenn sie im Gespräch über die Schulbehörde auftreten sollten. Wahrscheinlich wäre Ronnie wegen der ganzen Sache gekränkt. All diese Gefühle bezogen sich wohl auf das ganze Dilemma, sodass man keinen speziellen Aspekt davon hervorheben sollte. Sein Vater kann daher Furcht und Schuld als Hinweise auf eine Lüge interpretieren, während Wut und Kummer auch dann auftreten könnten, wenn Ronnie ehrlich ist.
Selbst wenn die Dinge so klar umrissen sind - wenn es also eine Grundlage für das Wissen gibt, welche differenzierten Emotionen beim Verdächtigen auftreten, wenn er lügt oder ehrlich ist -, ist die Interpretation von Verhaltenshinweisen auf Täuschungen noch immer eine heikle Angelegenheit. Viele Verhaltensweisen sind Anzeichen für mehr als eine Emotion. Sie müssen aus der Betrachtung ausgeschlossen werden, weil eine dieser Befindlichkeiten vielleicht auftritt, wenn der Verdächtige ehrlich ist, während eine andere ins Spiel kommen kann, wenn er lügt. Die Tabellen 1 und 2 im Anhang dienen der schnellen Überprüfung, welche Emotion welchen Verhaltenshinweis hervorbringt.
Nehmen wir an, der Vater bemerkte, dass Ronnie schwitzte und häufig schluckte. Diese Anzeichen sind wertlos, da sie Hinweise auf jede beliebige positive oder negative Emotion sind. Sollte Ronnie lügen, würden diese Anzeichen wegen seiner Angst- und Schuldgefühle auftreten. Sollte Ronnie die Wahrheit sagen, könnten sie ins Spiel kommen, weil er gekränkt und wütend ist. Wenn er viele Manipulatoren zeigte, müssten auch diese aus der Betrachtung ausgeschlossen werden, da Manipulatoren bei jeder beliebigen negativen Emotion zunehmen. Selbst Anzeichen für nur wenige bestimmte negative Gefühle wie die Senkung der Stimme müssten ignoriert werden. Eine tiefere Stimme wegen eines Schuldgefühls wäre ein Hinweis auf eine Lüge. Die Stimme könnte aber auch tiefer werden, weil man traurig ist oder sich gekränkt fühlt, und Ronnie hätte allen Grund, gekränkt zu sein, ganz gleich, ob er lügt oder die Wahrheit sagt. Nur solche Verhaltensweisen, die Angst oder Schuld, nicht aber Wut, Traurigkeit oder Kummer anzeigen, können als Täuschungshinweise interpretiert werden. Verhaltensweisen, die für Wut oder Kummer sprechen, nicht aber für Angst und Schuldgefühle, lassen sich als Anzeichen für Ehrlichkeit deuten. In den Tabellen 1 und 2 wird deutlich, dass die folgenden Verhaltensweisen Signale dafür liefern, ob Ronnie lügt oder ob er die Wahrheit sagt: Versprecher, sinnbildliche Ausrutscher, Mikroexpressionen sowie Bewegungen verlässlicher Gesichtsmuskeln. Das sind die einzigen Verhaltensweisen, die ausreichend genaue Informationen geben, um Angst oder Schuld von Wut und Kummer zu unterscheiden. Übrigens hätte ein Lügendetektortest bei Ronnie vermutlich nicht funktioniert. Der Apparat misst nur die emotionale Erregung, kann aber nicht ermitteln, um welche Emotion es sich handelt. Ganz gleich, ob Ronnie nun unschuldig oder schuldig wäre: Emotionen sind auf jeden Fall mit im Spiel. Während Studien, die die Genauigkeit des Lügendetektors auswerten, ihm bessere Prognosen als Zufallsentscheidungen bescheinigen, traten in einer Reihe dieser Untersuchungen viele Fehler der Kategorie Bezweifeln-der- Wahrheit auf. Diese Studien und ihre Bedeutung werden im folgenden Kapitel besprochen.
Wie die Analyse des Winslow Boy gezeigt hat, ist die Einschätzung kompliziert, welche Emotionen der Verdächtige fühlen würde, sollte er die Wahrheit sagen, und wie diese sich von denjenigen beim Lügen unterscheiden. Häufig steht nicht genügend Wissen zur Verfügung, um dies einzuschätzen. Hat man genügend Informationen, tragen die womöglich nicht dazu bei, den Lügner zu überführen. Das Wissen legt vielleicht nahe, dass dieselbe Emotion wahrscheinlich sowohl beim ehrlichen als auch beim lügenden
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