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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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Das war eine unglaubliche Befreiung, diesen Schritt zu machen, zu sagen, ich beginne noch mal, ich versuche, mich mal irgendwie auszudrücken. Es war aber auch verdammt schwer, weil ich mir selbst natürlich nicht getraut habe. Ich hab über Jahrzehnte hinweg immer wieder gehörig die Glocke geläutet, hier provoziert und da gebrüllt, ich hab alles Mögliche gemacht und mich nie geschont. Das war teilweise schön, teilweise war es auch nicht so schön. Und plötzlich ist es so, dass ich diese Glocke gar nicht mehr so wichtig finde. Inzwischen genieße ich es, rauszugehen in die Natur und festzustellen: Mensch, super, die ganzen Würmer, die ganzen Tiere sind unterwegs, baggern, beißen, lutschen rum, sind am Furzen und am Machen, pflügen alles um – der Wahnsinn. Und ich muss sie nicht anbrüllen, die machen das einfach so. Auch ohne mich. Früher habe ich ja alle angebrüllt, im Garten bin ich rumgerannt und hab Pflanzen, Tiere, Bäume angebrüllt, auch Menschen natürlich – jetzt habe ich das aber endlich klar, dass die auch ohne mich unterwegs sind. Zumindest klarer als früher. Und dann bin ich für Momente ganz entspannt und kann mich selbst befragen: Was war denn das für ein Leben, was du bisher gelebt hast? Bist du der geworden, der du sein wolltest, oder versuchst du nur, etwas zu imitieren? Was willst du jetzt noch machen? Weißt du irgendwann, wer du wirklich bist?

Meine Urszene
    Ich denke, angefangen hat alles 1968, als all diese wahnsinnig engagierten und unglaublich sportlichen Leute unterwegs waren. Im Jahr der Revolution, die uns immer noch beschäftigt und die scheinbar nie, nie zu Ende geführt werden kann: Ich war acht Jahre alt und mein Vater hantierte mit seiner neuen Doppel-8-Kamera herum, machte Aufnahmen beim Familienspaziergang, im Sommerurlaub am Strand von Norderney, bei Bauer Mewes im Sauerland, überall, wo wir unterwegs waren.
    Das sah für die Leute, die damals der Familie Schlingensief begegneten, wahrscheinlich ziemlich merkwürdig aus. Nach 15 Sekunden musste mein Vater nämlich die Kamera immer wieder aufdrehen, um weiterfilmen zu können. Meine Mutter und ich liefen also irgendwo in der Landschaft herum, mein Vater mit der Kamera hinter uns her. Nach 15 Sekunden rief er »Stopp«, wir blieben stehen und warteten, mein Vater kurbelte, dann hieß es »Jetzt« – und wir konnten weitergehen. Meine Mutter und ich alle 15 Sekunden in der Erstarrung, dann wieder Bewegung, dann wieder Erstarrung – und mein Vater schraubte die ganze Zeit wie ein Wilder an seiner Kamera. Das hatte etwas von dieser Abenteuer-Kinderserie mit dem Bumerang. Das weiß ich noch, da konnte ein Junge mit seinem Bumerang die Welt zum Stillstand bringen. Immer wenn der Bumerang hochflog, war alles eingefroren. Und der Junge konnte losrasen und die Täter festnehmen. Ich fand’s großartig.
    Mit einer Doppel-8-Kamera zu drehen, bedeutete auch, dass erst eine Hälfte des Films belichtet wurde, später im Rücklauf dann die zweite. Wenn die erste Hälfte belichtet war, musste man also irgendwohin gehen, wo es dunkel war – unter die Bettdecke oder aufs Klo, egal, Hauptsache, dunkel –, und die Filmspule umlegen, um die zweite Hälfte zu belichten. Dann packte man die Spule in eine Tüte, schickte das Ganze zu Kodak zum Entwickeln – und nach 14 Tagen kam der Film zurück, in der Mitte längs durchtrennt und beide Teile aneinandergeklebt. Und schließlich knatterte dieser Film durch den Projektor, der ja eine feste Bahn vorgibt, von oben nach unten, und hinten wieder raus – ungefähr ein Lebensweg, würde ich sagen. Nur dass es wie im Leben ziemlich mühsam ist, dieser Bahn zu folgen, die Fehlerquellen auszuschalten oder Stillstand zu verhindern: Die Schärfe muss man nachdrehen; möglichst ohne Dreck muss das Ganze ablaufen, da darf kein Flusen reinhängen, sonst hakt’s, kein Fixiersalz mehr auf der Spule kleben, sonst stinkt’s und raucht; man muss auf den Bildstand aufpassen, damit nicht plötzlich der Kopf unten und die Beine oben sind, und, und, und – viel hat die Filmtechnik mit dem Leben zu tun.
    Der Filmprojektor hatte mich immer schon interessiert, aber endgültig infiziert war ich, als wir eines Tages dasaßen und einen Film sahen, der doppelt belichtet war. Mein Vater war wohl so euphorisch gewesen mit seiner Kamera, dass er die Spule unter der Bettdecke in diesem Fall zweimal umgelegt hatte. Da kommt also nach 14 Tagen der Film zurück, die Familie sitzt im Wohnzimmer, Vorhänge zugezogen,

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