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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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der anderen Seite dasselbe Bild im Rahmen? Ist dieses Bild durch die Eingrenzung jetzt in seiner Identität verletzt? Wird es zu einem Austausch der Rahmen kommen? Sprechen die Bilder miteinander? Wird das Bild mit Rahmen sagen: Ich habe meinen Rahmen gefunden, ich bin gefestigt, du aber nicht, du bist nur Brei, du läufst aus, deine Farben verschwimmen?
    Das sind tatsächlich alles Fragen, die wichtig sind, wenn man Kunst anguckt. Aber es sind eben auch Fragen, die ich immer auf die Gesellschaft, auf das Leben bezogen habe. Kunst ist für mich nur interessant, wenn sie auf das Leben bezogen ist, wenn sie an der Trennung von Kunst und Leben kratzt. Wie bei Allan Kaprow, den ja kaum noch jemand kennt. Eine Aktion von ihm muss man sich ungefähr so vorstellen: Eine Gruppe von Leuten sitzt in einem Kasten und sieht dabei zu, wie jemand eine Apfelsine schält und isst. Eine andere Gruppe in einem anderen Kasten sieht, wie jemand eine Banane schält und isst. Eine dritte Gruppe sieht gar nichts, der Raum ist leer. Alle Leute kommen raus und regen sich auf: »So ein Quatsch! Was soll das?« Plötzlich hört jemand aus der Bananengruppe das Stichwort Apfelsine. Große Diskussion: Wer hat was gesehen? Die dritte Gruppe völlig im Aufruhr, kurz vor Revolution: »Verdammte Scheiße, was beschwert ihr euch? Wir hatten noch nicht mal ein Stückchen Schale, wir hatten gar nichts, wir saßen stundenlang im leeren Raum.«
    Das ist doch das, was uns im Leben immer wieder passiert: Man sieht ein Bild und denkt, das sei die Welt, vergisst aber, dass es ganz viele Bilder von der Welt gibt. Dass man auch in sich selbst ganz viele Bilder, Ideen, Sehnsüchte hat, die man nicht erfüllen konnte, an denen man aber immer noch hängt, wo man weinen könnte, weil man sie aufgeben musste. Der Mensch besteht eben nicht nur aus Chemie, sondern auch aus ganz viel Sehnsucht. Und ich glaube, dass jeder so eine Dunkelphase in sich hat, dass jeder hin und wieder in so einem leeren, dunklen Raum sitzt, in dem die Bilder und Sehnsüchte weiterleben. Und die man vielleicht doch noch realisieren kann, wenn man diese Dunkelheit nicht ignoriert.
    Der Rahmen, in dem die Galerieeröffnung stattfindet, ist jedenfalls der sogenannte Kunstrahmen – und wenn er fertig ist, dann sind auch alle ganz schnell weg, dann ist der Spuk vorbei, so gegen vier, fünf Uhr morgens. Manchmal hängen noch ein paar vergessene Mäntel herum. Vor Kurzem wurde in einer Galerie ein Mantel gefunden, da steckten 16 Brötchen in den Taschen. Den hat irgendein Künstler jetzt für einen Euro gekauft und in sein eigenes Ready-made-Environment eingearbeitet. Das führt er demnächst wahrscheinlich bei seiner eigenen Eröffnung vor, mit seiner Freundin zusammen, die Performance-Tänze macht. Die wird dann mit dem Mantel tanzen und damit die Frage nach der Gier der Kunstsammler stellen. Den Sammler, den Kunstfreund, der nie satt wird – den repräsentiert dann der tanzende Mantel mit den 16 Brötchen.
    Klar, es gibt auch clevere Künstler, aber diese Leute, die da nach Berlin kommen, sind meistens nicht so clever. Sind präpotente Studenten, sage ich immer, die glauben, sie seien schon Künstler, weil sie einmal die Kunstakademie betreten haben: Aufnahmebescheid, du darfst hier studieren – und zack, ist man schon Künstler. Klar, ich hab früher auch Seidenschal getragen, ich hatte Cowboystiefel und ein Bonanza-Fahrrad mit einem Fuchsschwanz hintendran. Ich hab das auch alles mitgemacht, ich kenn das, sogar ohne Kunstakademie.
    Die Eröffnung ist jedenfalls dann vorbei, am nächsten Morgen räumt der Student auf, wischt und fegt, um alles wieder schön sauber zu haben für die Käufer. Dann sitzt er da rum, wartet, dass mal einer kommt. Kommt aber keiner. Am dritten Tag steckt nachmittags einer mal den Kopf durch die Tür und fragt: »Sagen Sie mal, war hier früher nicht mal Kamps?«
    Klar, überall ist Kamps! Und man weiß immer genau, wo diese Läden sind oder waren. Ich nenne das den Uwe-Barschel-Effekt. Vor Kurzem habe ich ein Plakat gesehen, vorne ist eine Badewanne abgebildet – und sofort schießt mir Barschel durch den Kopf. Wie funktioniert das bloß, dass ein Toter einen Raum so einnehmen kann, dass ich immer, wenn ich das Bild einer Badewanne sehe, an Uwe Barschel denken muss?
    Nach einem Monat ist immer noch keiner beim Studenten gewesen, um etwas zu kaufen. Nur Kamps, Kamps, Kamps. Im zweiten Monat rufen die Eltern an: »Na, wie geht’s dir? Wollten nur mal hören,

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