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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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mich Matthias Lilienthal zum Theater gebracht hat. Er rief mich 1993 nach dem Krieg um »Terror 2000« an und meinte, so einer wie ich solle doch unbedingt mal ans Theater kommen. Matthias, der damals Chefdramaturg der Volksbühne war, lud mich ein, mir »Clockwork Orange« anzuschauen, eine Inszenierung von Frank Castorf, der gerade Intendant an der Volksbühne geworden war. Also gut, dachte ich, fahre ich da mal hin. Als ich dann zuschauen musste, wie der Schauspieler Herbert Fritsch in vier Metern Höhe über einem Abgrund baumelte, bin ich nach fünfzig Minuten wieder gegangen. Zumal ich Theater sowieso entsetzlich langweilig und bescheuert fand. Thomas Meinecke hatte immer die Parole ausgerufen: »Theater zu Parkhäusern« – und das war damals auch meine Meinung. Matthias Lilienthal erwischte mich dann aber noch im Treppenhaus und wir haben ein wenig übers Theater und diesen übertriebenen Körpereinsatz gestritten. Ich habe argumentiert, dass ich an lebensgefährlichen Versuchen von Einzelpersonen nicht beteiligt werden möchte. Erst recht nicht in einem so primitiven Vorgang wie dem Theater.
    Im Kern ist es dabei auch geblieben. Noch heute finde ich Theater eine leider zu neunzig Prozent sinnlos genutzte Fläche. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist Deutschland natürlich gesegnet, aber ich mag Vergleiche sowieso nicht. Theater ist einfach oft extrem verblödet, weil es einem Naturalismus nachhängt, der den Kopf in keiner Weise fordert. Oft sitze ich hilflos im Theater und denke, mein Gott, was verdrehen die sich da alle, ich glaub doch sowieso nicht, dass sie jemand anderer sind. Und dann schreiben da tatsächlich irgendwelche simplen Gemüter, wie ergreifend und sensibel manche Darsteller irgendetwas dargestellt haben. Tut mir leid, aber mich interessiert ein Gedanke, die philosophische Seite der Theatermedaille mehr als ein schwitzender Leidensbeauftragter.
    Aber auch wenn ich bis heute immer wieder hadere mit dem Theater: Der Anruf von Matthias war natürlich die Rettung für mich. Das war das absolut Beste, was passieren konnte. Sonst säße ich wahrscheinlich heute noch schlecht gelaunt in Mülheim an der Ruhr und würde darauf warten, endlich wieder Geld für meine Filme zu bekommen. Ich will, dass man dankbar ist, wenn man Flächen benutzen darf, die von anderen beobachtet werden. Und das Theater war damals genau die Fläche, die mich im Kopf auf neue Wege gebracht hat. Denn die Volksbühne war ein toller Ort, und Matthias, der viele Jahre mein Dramaturg war, hatte verstanden, dass ich Theater nur dann interessant finden kann, wenn ich nicht irgendwelche alten Stücke zertrümmern oder auf neu trimmen muss. Und deswegen ging’s dann im April 1993 mit »100 Jahre CDU« los mit dem Theater und meiner Volksbühnen-Zeit.
    Aber auch da gab’s immer wieder so viele Missverständnisse, immer wieder diese Behauptung, ich wolle nur provozieren. Oder der Vorwurf, ich wäre nur daran interessiert, mich selbst zu produzieren. Das tat oft verdammt weh, da waren bösartige Unterstellungen unterwegs. Klar: Ich Depp habe auch öfters Leuten vor die Füße gekotzt und dabei noch gedacht, das werden die mögen. So ist es manchmal gelaufen, da war ich natürlich ein Idiot. Aber im Kern habe ich zusammen mit den Schauspielern doch auch bei sehr vielen Leuten im Publikum eine Türe geöffnet, sodass man plötzlich sah: Theater kann auch etwas anderes sein als das Abklappern von irgendwelchen klassischen Stücken, Theater kann im besten Falle eine echte Forschungsanstalt sein. Meine völlig verunglückten Abende waren fast immer die, bei denen ich auch mal »richtiges« Theater machen wollte. Das ist fürs Abo, das ist okay, das ist auch hin und wieder ganz schön, wenn man einfach so reingeht und feststellt: Ach, guck mal da, Theater, wie schön, dass der da turnt, um stellvertretend für uns Wahnsinn darzustellen (neunzig Prozent aller Klassiker bevölkern die Bühne ja mit Wahnsinnigen). Das soll alles bleiben, das will ich auch gar nicht mehr bekämpfen. Aber ich finde trotzdem, Theater darf nicht immer nur gespielter Wahnsinn, sondern muss auch mal gelebter Wahnsinn sein.
    (21.12.2009, Schlingenblog auf www.schlingensief.com )
    Für mich ist die große Frage beim Theater: Ab wann wird Theater authentisch? Peter Zadek hat behauptet, Theater sei authentisch, wenn die Schauspieler ihn überraschen. Auch wenn das, was ich angezettelt habe, nicht im Verdacht steht, irgendetwas mit Zadeks Inszenierungen

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