Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)
unserem Glas geworden ist und wir es nicht mehr gegen ein eventuell volleres austauschen können, startet unsere Psyche ihr inneres Beschönigungsprogramm. Da sich dieser Vorgang eher unbewusst abspielt, unterschätzen wir ihn, wir rechnen nicht mit ihm und geben ihm folglich keine Chance, sich zu entfalten. So tun wir alles dafür, uns stets ein Hintertürchen offenzuhalten, obwohl wir am Ende womöglich gerade dann mit unseren Entscheidungen glücklich würden, würden wir ihnen nicht immer maximalen Spielraum zum Rückgängigmachen gewähren.
Perfektionismus, der erfolgreich und
unglücklich macht
Erfolg ist, wenn man bekommt, was man will.
Glück ist, wenn man will, was man bekommt.
Sprichwort
Stellen wir uns einen Falter vor, nachts fliegt er los, um im Schutz der Dunkelheit nach einem Paarungspartner oder etwas Nektar zu suchen, damit er nicht ganz so allein oder ganz so hungrig ist. Um durch den schwarzen Raum zu navigieren, orientiert sich unser Nachtfalter an der stärksten Lichtquelle, die es da draußen gibt, in der Natur üblicherweise der Mond. Wenn er zum Beispiel eine längere Strecke geradeaus fliegen will, braucht er bloß eine einfache Regel zu befolgen: Guck direkt nach vorne und registriere, woher das Licht des Mondes kommt. Dann flatter los und stell sicher, dass die Lichtstrahlen stets in einem konstanten Winkel auf deine Augen treffen. Ändert sich der Winkel, muss sich deine Flugrichtung geändert haben, also nimmst du eine Korrektur vor, um wieder auf Kurs zu kommen.
Jahrtausendelang funktionierte diese Navigationsstrategie unseres Nachtfalters problemlos, bis der Mensch auf den Plan trat und anfing, die Erde zu beleuchten, und die Nacht zum Tage machte. Eine Laterne oder Camping-Halogenlampe ist nicht nur viel heller als der Mond, sondern auch so nah an unserem Nachtfalter dran, dass ihre Strahlen nicht, wie die Lichtstrahlen des im Schnitt gut 380 000 Kilometer entfernten Mondes, parallel verlaufen, sondern konzentrisch um die Quelle wie die Speichen eines Rads um die Achse.
Setzt unser Nachtfalter weiterhin auf seine gute alte Navigationsstrategie, wird er von den zahlreichen künstlichen Lichtern, die den Himmel verschmutzen, in die Irre geführt. Versucht er bei seinem Flug einen spitzen Winkel zu einer der irdischen Lichtquellen einzuhalten, muss er, um aus seiner Sicht weiterhin geradeaus zu fliegen, immer wieder seinen Kurs korrigieren, die Folge: Er gerät in eine Spirale, die ihn näher und näher an die Lichtquelle führt, bis er schließlich darin untergeht. [32]
Stellen wir uns nun ein Wesen vor, das auf der Suche nach einem Paarungspartner oder etwas Essbarem die Neigung hat, sich nicht mit dem erstbesten Angebot, das ihm über dem Weg läuft, zufriedenzugeben. Stattdessen ist unser Wesen anspruchsvoll, wartet ab, sucht, probiert aus, verwirft Angebote und sucht weiter, bis es sich einen Überblick über das Gesamtangebot verschafft hat, dann erst legt es sich fest und entscheidet sich für das, was ihm am besten gefällt.
Ebenso wie unser Nachtfalter verfolgt dieses Wesen eine prima Strategie – solange seine Umwelt ihm eine begrenzte Zahl von Möglichkeiten bietet, solange es keine Supermärkte mit Hunderten von Konfitüren und kein Internet mit Millionen von Singles gibt, alle auf der Suche nach dem besten Partner.
Bei zehn Angeboten tut unser Wesen ganz gut daran, erst mal alle zu prüfen, bevor es seine Wahl trifft. Bei 100 Angeboten wird die Sache schon reichlich anstrengend, wäre aber wohl, eine hohe Kopfschmerztoleranz vorausgesetzt, noch machbar. Was jedoch würde passieren, wenn unser Wesen nicht mehr mit zehn oder 100, sondern mit Tausenden von Angeboten konfrontiert würde? Müsste es da nicht verzweifeln, müsste es nicht in Depressionen versinken oder wahnsinnig werden angesichts der Aussichtslosigkeit, in diesem Meer aus Möglichkeiten die beste Option zu finden? (Und wie könnte es in dieser Situation je sicher sein, auch wirklich die beste Option gefunden zu haben? Es wäre auf ewig verunsichert …)
In unserer Gesellschaft wird unser Wesen somit vor ein Dilemma gestellt: Entweder es hält an seiner guten alten Strategie fest und versucht unbeirrt weiter, alle Möglichkeiten zu checken, bevor es sich entscheidet, auf die Gefahr hin, ja im Grunde mit der Garantie, seinem eigenen Anspruch nie gerecht werden zu können.
Oder es ändert seine Strategie. Gibt seinen Perfektionismus auf. Sieht ein, welch hohen Preis es dafür zahlt, stets das
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