Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)
Klischee?
Wahrscheinlich wäre ich nicht noch einmal zum Grill Royal zurückgekehrt, diesmal mit meiner Kamera bewaffnet, hätte mich die Neon-Leuchtschrift nicht an etwas erinnert, auf das ich einige Zeit zuvor in dem amerikanischen Forschermagazin Science gestoßen war. Falls Sie nicht weiter mit der Lektüre von Science vertraut sein sollten (was ich Ihnen nicht wirklich verübeln könnte): Es handelt sich dabei um ein ziemlich trockenes, aber sehr angesehenes Fachblatt, das sich jedenfalls nicht auf die Fahnen geschrieben hat, die Theorien eines gewissen Karl Heinrich Marx empirisch zu untermauern.
Umso bemerkenswerter, dass in dem Journal einige experimentelle Studien erschienen sind, deren Befunde in gewisser Weise auf einen ähnlichen Schluss hinauslaufen wie der kämpferische Slogan über dem Luxusrestaurant. Die Befunde belegen vielleicht nicht direkt, dass der Kapitalismus die Liebe tötet, demonstrieren aber, dass der Gegensatz »Geld oder Liebe« mehr ist als ein bloßes Klischee oder eine alberne TV-Show. Geld, so zeigen die ebenso simplen wie faszinierenden Versuche, verhält sich zu zwischenmenschlicher Nähe wie Wasser zu Feuer.
In einem dieser Versuche setzten die Wissenschaftler Testpersonen an einen Schreibtisch mit Computer und baten die Leute, einen Stapel Fragebögen auszufüllen. Die Fragebögen waren nur ein Vorwand. Eigentlich ging es den Forschern um etwas ganz anderes. Schon bald nämlich erschien auf dem Bildschirm des Computers ein Screensaver. In einer Variante des Versuchs bestand der Screensaver aus bunten Fischen, in einer anderen flackerten Geldscheine über den Monitor.
Nach dieser kleinen Aufwärmphase kam es zum eigentlichen Test. Die Forscher erlösten die Versuchskaninchen von ihrem Fragebogen und sagten ihnen: »Pass auf, du lernst jetzt einen anderen Teilnehmer des Versuchs kennen. Nimm dir doch kurz den Stuhl da in der Ecke und stell ihn zu deinem Stuhl, die andere Person kommt gleich.«
Sobald die Leute den Stuhl herangerückt hatten, wurde der Versuch abgebrochen. Die Wissenschaftler hatten ihr Ziel erreicht. Es war ihnen bei der ganzen Aktion lediglich um die Frage gegangen, ob die Personen, die sie soeben auf unauffällige Weise mit Geld konfrontiert hatten, anders reagieren würden als jene, die zuvor virtuellen Fischen ausgesetzt worden waren.
Und tatsächlich war das der Fall. Obwohl der einzige Unterschied zwischen den Probanden darin bestand, dass sie einen von zwei scheinbar harmlosen Screensavern gesehen hatten, verhielten sie sich je nach Screensaver messbar anders: So stellten die Geld-Leute die Stühle deutlich weiter auseinander als die Fisch-Leute, und zwar im Schnitt fast einen halben Meter. [81]
Das Ergebnis erinnert mich entfernt an jene Esstische reicher Leute, wo die Ehefrau am einen Ende sitzt und der Ehemann ein paar Meter weiter am anderen Ende, während ab und zu ein Butler vorbeikommt, der diskret die Weingläser nachfüllt. Es ist, als ginge vom Geld eine eigentümliche, distanzierende Wirkung aus – ein Effekt, den jeder wahrscheinlich schon mal in der einen oder anderen Form im Alltag erlebt hat und der auch in der Psychologie schon seit längerem bekannt ist. Beispielsweise hat man bereits in den 1970er Jahren in Feldversuchen Schüler auf einem Schulhof fotografiert und bei der Analyse der Fotografien festgestellt, dass Kinder von Eltern, die zur vermögenden Oberschicht gehören, einen messbar größeren Abstand zueinander bewahren als Kinder aus der Mittelschicht. [82]
In einem anderen, neueren Versuch lockten Forscher Studenten in einen Laborraum, wo es angeblich darum ging, Strategien für Bewerbungsgespräche zu entwickeln. Jeweils zwei Studenten wurden an einen Tisch geführt, wo sie eine fünfminütige Konversation zum Kennenlernen führen sollten. Eine Videokamera zeichnete ihr Verhalten auf. Zuvor hatten die Forscher einige Informationen über die Studenten eingeholt, darunter auch das Einkommen ihrer Eltern.
Später zeigte man einer anderen Gruppe die Video-Aufnahmen mit der Bitte, den sozialen Status der Studenten im Video einzuschätzen. Obwohl sie nichts über die Studenten wussten, gelang es den unabhängigen Beobachtern auf Anhieb, jene Studenten aus den wohlhabenden Familien herauszufischen, und zwar nicht zuletzt auf Grund des distanzierten, ja geradezu unbeteiligten Verhaltens, das die Reicheren an den Tag legten: Statt Kontakt mit ihrem Gegenüber aufzunehmen, etwa durch einen Blick, ein Lächeln oder ein
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