Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)
Single-Kollege nachts um die Häuser ziehen und tun und lassen, was er will. Meist können wir damit leben, wir nehmen die Einschränkungen in Kauf, weil wir genau wissen, dass ein beziehungsloses Leben auch einsam und öde wäre und wir insgesamt mit unseren Beziehungen immer noch glücklicher sind als ohne sie. Wir akzeptieren die Freiheitseinschränkung als Preis dafür, das Leben nicht ganz allein ertragen zu müssen.
Aber was wäre, wenn wir uns damit irren? Was, wenn uns unseren engen Beziehungen und Bindungen nicht nur guttun, obwohl , sondern vielleicht auch weil sie uns einschränken, weil sie uns davor bewahren, in den ausufernden Möglichkeiten da draußen unterzugehen? [37]
Nehmen wir das Verliebtsein als Extremfall. Wer sich bis über beide Ohren verknallt hat, dessen Freiheit ist – obwohl sich das für den Betroffenen nicht so anfühlen mag – besonders stark eingeschränkt: Man muss einfach in der Gegenwart des Geliebten sein, ansonsten fühlt man sich unruhig und schlecht oder besser gesagt hundsmiserabel und zu Tode betrübt. Ignoriert unser Liebster uns ein paar Sekunden, haben wir keine Wahl und versinken in tiefste Depressionen. Wer verliebt ist, ist total abhängig vom Verhalten einer anderen Person und somit alles andere als frei. Und doch, wenn alles gutgeht, wenn wir zusammen mit unserem Schatz sind, dann geschieht etwas Magisches: Jegliche Alternativkosten sinken gegen null, alles andere verliert an Bedeutung, es gibt jetzt keinen anderen Ort mehr, an dem wir lieber sein möchten, es gibt nichts mehr, was wir noch bräuchten, damit unser Glück vollkommen wäre.
Verliebtheit mag ein Extrem sein, aber es ist keine einzigartige Ausnahme. Eine durchaus vergleichbare Wirkung können Kinder haben, die einem alles bedeuten und in deren Gegenwart alles andere relativiert wird und an Gewicht verliert. Letztlich gilt das Phänomen in abgeschwächter Weise für alle Beziehungen, an denen uns etwas liegt: Alle diese Bindungen schränken uns mehr oder weniger ein und tragen doch zu unserem Seelenfrieden bei, und das vielleicht eben auch, weil sie unserem Leben einen Halt, eine Struktur geben, weil sie uns in einer Welt allzu vieler Möglichkeiten dabei helfen zu bestimmen, was wirklich wichtig ist und was nicht. [38]
So kann auch ein einfacher Freundeskreis zu »bindenden« Ritualen führen, beispielsweise dem Ritual, sich freitags abends zum Grillen zu verabreden, was den angenehmen Nebeneffekt hat, dass man sich nicht mehr jeden Freitag aufs Neue den Kopf darüber zerbrechen muss, welcher der vielen Verlockungen, die einem die nervöse, rastlose Stadt bietet, man diesmal nachgehen soll. Durch diese Brille betrachtet haben zwischenmenschliche Bindungen gerade durch die Beschränkungen, die sie mit sich bringen, etwas Befreiendes: Sie erleichtern unsere Entscheidungen, indem sie die zahlreichen Optionen für uns einkreisen und auf eine überschaubare Auswahl reduzieren, mit der wir umgehen können.
Kurz gesagt: Intime Bindungen sind – meist – nicht einfach nur schön, sondern können nebenbei auch ein wirksames Mittel sein, um mit der Multioptionsgesellschaft fertig zu werden. Angesichts dessen dürfte man also eigentlich erwarten, dass wir gerade in der heutigen Zeit alles dafür tun, diese engen Beziehungen auch zu knüpfen und zu pflegen.
Wie wir aber wissen und wie ja auch schon der Blick auf die Ehe- und Geburtenstatistik gezeigt hat, ist eher das Gegenteil der Fall. Festen Bindungen gehen wir zunehmend aus dem Weg. Stattdessen versuchen wir unsere Unabhängigkeit und unsere Möglichkeiten zu maximieren, wo wir können, nicht zuletzt auch, indem wir uns in unsere Karrieren stürzen und Geld scheffeln. Geld nämlich, jenes universelle Tauschmittel, erhöht einmal mehr unseren Spielraum.
Dabei könnte es zu einem Teufelskreis kommen, der sich selbst verstärkt und uns mehr und mehr zu isolierten Einzelgängern mutieren lässt, weil Geld wiederum den Effekt hat, uns von unseren Mitmenschen zu distanzieren: Geld lockert Bindungen auf und macht uns tendenziell einsam – wie wir im nächsten Buchteil sehen werden.
3.
Wie Geld die Psyche verändert
Geld distanziert
Capitalism kills love – das würde wohl jeder fromme Amische sofort unterschreiben können. Che Guevara wäre bestimmt auch begeistert gewesen. Aber mal unter uns: Handelt es sich dabei nicht um den reinsten Agitprop? Ist das nicht naive Sozialromantik oder auch einfach nur ein abgedroschenes
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