Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)
klingt alles immer recht logisch und einleuchtend und auch – das scheint ja der Sinn seiner Übung zu sein – ein bisschen einschüchternd. Erst wenn er wieder gegangen ist und ich mir die Diskussion, besser gesagt seinen Monolog noch einmal durch den Kopf gehen lasse, taucht in mir gelegentlich der Gedanke auf, ob wir eigentlich noch alle Tassen im Schrank haben: Da sitzen wir, bei einem Glas gutem Rotwein, und machen uns ernsthaft Sorgen über die Kosten eines eventuellen Kindes, und das in einem der reichsten Länder der Welt, noch dazu in einer Zeit, in der dieses Land politisch so stabil ist wie nie zuvor in seiner bekanntlich nicht immer ganz so stabilen Geschichte. (Wie haben sich unsere Großeltern eigentlich je zu dem Entschluss durchringen können, unsere Eltern zu bekommen? Meine Eltern sind beide in relativ bescheidenen Verhältnissen während des Krieges bzw. unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zur Welt gekommen, Europa lag in Schutt und Asche. Woher nur nahmen meine Großeltern damals den Mut, um nicht zu sagen die Kühnheit, in diese Welt ein Kind zu setzen?)
Nun würde die Nation es vermutlich verkraften, wären Daniel und ich die Einzigen, die von solchen Sorgen geplagt würden. Tatsächlich aber finden diese Sorgen anscheinend bundesweite Verbreitung. [106] Fragt man kinderlose Deutsche, was der Grund ihrer Kinderlosigkeit ist, stellt sich heraus, dass es nicht einmal in erster Linie die Hingabe an den Beruf und die Karriere als solche ist, die sie von einer Familiengründung abhält. Nein, abgesehen von Problem Nummer eins, das uns bereits im ersten Buchteil begegnet ist (man lebt allein und hat keinen festen Partner), haben die meisten von uns vor allem Angst davor, dass ein Kind uns den Lebensstandard, an den wir uns gewöhnt haben, sukzessive wegknabbern könnte. [107]
Offenbar sind es also nicht zuletzt, es sind vielmehr zuallererst materielle Interessen, die uns von einer Familiengründung abhalten, und das, wie gesagt, obwohl es uns materiell bessergeht als je zuvor und besser als den allermeisten Menschen dieser Welt. Wie kann das sein? Wieso fühlen wir uns nicht so reich, wie wir sind? Ist das absurd oder einfach nur dekadent?
Man muss gar nicht so irrsinnig lange überlegen, um zur Einsicht zu gelangen, dass die Sorge, die hier zum Vorschein kommt, vielleicht nicht ganz so absurd ist, wie sie zunächst anmuten mag. Die Bedenken der Kinderlosen scheinen mir sogar im Gegenteil auf etwas äußerst Aufschlussreiches hinzuweisen, auf etwas, das sich als eine weitere entscheidende Erklärung dafür erweisen könnte, warum wachsender Wohlstand für alle ab einem gewissen Punkt nicht mehr automatisch mit wachsendem Glück für alle einhergeht: Dort, wo die Grundbedürfnisse gestillt sind, wo fast jeder zu essen und fast jeder ein Dach über dem Kopf hat, werden diese Sachen schon bald zu etwas Selbstverständlichem. Um das Selbstverständliche aber muss man sich, wie um jedes gelöste Problem, nicht mehr kümmern.
Was uns von nun an aber immer noch, ja vielleicht umso mehr kümmert, ist etwas anderes. Die Frage: »Hab ich genug Geld, um zu überleben?« ist keine Frage mehr, die uns schlaflose Nächte bereitet, sie ist gewissermaßen beantwortet. Überleben ist nicht länger unser Problem. Was uns stattdessen schlaflose Nächte zu bereiten scheint, ist die Frage: »Hab ich genug Geld im Vergleich zu meinen Nachbarn? Kann ich mit dem Lebensstandard meiner Freunde und Kollegen mithalten?«
Das mag zwar im ersten Moment nach einem Luxusproblem oder dekadent klingen, bei genauerem Hinsehen jedoch entpuppt sich das Bedürfnis, nicht nur absolut, sondern auch relativ zu seinen Mitmenschen gut dazustehen, als etwas ziemlich Elementares. Schon allein rein biologisch ist es ja so, dass es für uns als sich sexuell fortpflanzende Spezies nie nur auf das nackte Überleben ankam. Wäre das der Fall gewesen, gäbe es Sie und mich nicht: Dann nämlich hätten unsere Eltern lediglich überlebt und sich nicht auch noch die Mühe gemacht, uns zu bekommen. Im Grunde ist unser Überleben der Natur nur deshalb so wichtig, weil eine gewisse Überlebenszeit nun mal die Voraussetzung dafür ist, sich vermehren zu können – und das ist es, was die Natur letztlich von uns fordert. Ein grandioser Überlebenskünstler, der keinen Nachwuchs hinterlässt, ist eine evolutionäre Sackgasse.
Um jedoch das mit der Vermehrung hinzubekommen, stehen wir vor der Herausforderung, im Laufe unseres Überlebens
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