Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)
den 40 Ländern mit den stärksten Familienbanden sind dagegen, außer Uruguay, alle untersuchten südamerikanischen Länder.
Interessant im Zusammenhang mit dem amischen Versicherungsverzicht ist dabei ein weiterer Befund der Harvard-Forscher: Menschen in Ländern mit starkem Familienstellenwert sind weniger bereit, für eine bessere Sozialversicherung höhere Steuern in Kauf zu nehmen, vermutlich weil hier im Notfall die Familie als Versicherung einspringt. Gleichzeitig scheint sich ein hoher Familienstellenwert positiv auf das allgemeine Wohlbefinden auszuwirken, zumindest sind die Menschen in jenen Ländern tendenziell etwas glücklicher, in denen die Familie eine zentrale Rolle spielt, auch wenn das nur eine grobe statistische Tendenz ist und es da viele Ausreißer gibt. [102]
Zusammenfassend kann man sagen: Geld macht uns unabhängiger von persönlich-intimen Beziehungen, steigender Reichtum einer Gesellschaft geht damit einher, dass jeder seinen eigenen Weg verfolgt, man ist jetzt mehr mit sich, seinen individuellen Wünschen und Plänen beschäftigt, was auf Kosten der sozialen Beziehungen und des Familienzusammenhalts geht. Die kleine Welt der Familie verliert an Bedeutung, stattdessen suchen wir die Anerkennung vermehrt in der Welt da draußen, in Form einer Karriere.
Die Relativierung der Familie in wohlhabenden Gesellschaften zeigt sich ja ebenfalls an der bekannten Tatsache, dass es in reichen Ländern schlichtweg immer weniger Familien gibt und dass die Familien, die es noch gibt, in der Regel klein sind. Wohlhabende Gesellschaften bieten mehr Optionen, sie werfen die Frage auf, was man wollen soll: Viel reisen? Ewiger Student bleiben? Eine spannende Karriere? Familie und Kind werden da lediglich zu einer Option von vielen, mit der Folge, dass die Geburtenzahl in allen reichen Industrieländern längst unter die »Ersatzrate« von gut zwei (2,1) Kindern pro Frau gesunken ist: Reiche Bevölkerungen sind, ohne Zuwanderung aus ärmeren Ländern, schrumpfende Bevölkerungen (einzige Ausnahme bislang noch: Israel). [103]
Und die Menschen in den wohlhabenderen Ländern entscheiden sich nicht nur zunehmend gegen eine Familiengründung, auch die (relativ) wenigen vorhandenen Familien laufen Gefahr, vom Wohlstand und den Möglichkeiten, die er dem Individuum bietet, getrennt zu werden. Drei-Generationen-Haushalte gehören bei uns in Deutschland praktisch der Vergangenheit an, einzelne Mitglieder einer Familie arbeiten und wohnen nicht selten alle woanders. Selbst die Kernfamilien (Frau, Mann, Kind) zerfallen umso häufiger frühzeitig, je reicher das Land ist, in dem sie leben. So gibt es, wie ich in nachfolgender Grafik anhand von WHO-Daten analysiert habe, unter den reichen Nationen einen klaren Zusammenhang zwischen dem Reichtum des Landes und dem Anteil der Kinder, die mit nur einem Elternteil statt mit beiden Eltern aufwachsen. [104]
Für die Eltern – wenigstens für einen der beiden Teile – ist es natürlich die eigene freie Entscheidung, die Familie zu verlassen und fortan getrennte Wege zu gehen, auch wenn die Kinder noch jung sind. Kinder haben diese Wahl nicht, und insofern sich Kinder danach sehnen, dass ihre Eltern zusammenbleiben, schafft Wohlstand auch einen neuen, schmerzhaften Interessenkonflikt zwischen Eltern und ihren Kindern: Je reicher eine Gesellschaft wird, desto mehr attraktive Konkurrenzoptionen eröffnen sich für die Eltern, neben der einst gängigen »Option« (eher gesellschaftlichen Pflicht), als Familie zusammenzubleiben. Für Kinder stellt sich die Situation anders dar. Für sie ändert ein hoher Wohlstand in dieser Frage überhaupt nichts: Für ein Kind ist das Zusammenbleiben seiner Eltern stets die einzig ersehnte Option, völlig unabhängig davon, wie reich das Land ist, in dem es aufwächst. [105]
Objektiver Reichtum, gefühlte Armut
Ich habe einen guten Freund, Daniel, mit dem ich, wie so oft mit guten Freunden, immer mal wieder in die gleiche Diskussion gerate. Die Diskussion geht um Kinder und die Frage, ob wir – er, ich – uns Kinder überhaupt leisten können. Daniel rechnet mir dann gerne vor, wie teuer Kinder uns über die Jahre zu stehen kämen, Posten für Posten. Es dauert nicht lange, schon ist er bei über einhunderttausend Euro pro Kind, und da ist seine hypothetische Raupe Nimmersatt gerade mal 18 Jahre alt und muss mit dem Studium (»auch noch mal richtig Asche!«) erst anfangen.
Während Daniel vor sich hin rechnet,
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