Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)
zu ehrlichen, aber eben auch kriminellen Geschäften.
Last, but not least ist eine dichte Menschenmasse nicht immer bloß anregend oder ansteckend, sie kann auch schlichtweg anstrengend, überfordernd oder sogar beängstigend sein, womit wir bei einem Aspekt wären, den man als »Stadtneurotiker-Effekt« bezeichnen könnte: Je größer die Stadt, desto mehr kämpfen deren Einwohner, wie Studien belegen, mit Stress und psychischen Erkrankungen.
Mit der Dosis Stadt, der wir ausgesetzt sind, steigt das Risiko, an einer psychischen Störung zu erkranken – hier die Daten einer Studie zur Situation in Deutschland. Es gibt einige wenige Ausnahmen: Alkoholsucht zum Beispiel ist auf dem Dorf mindestens ebenso stark verbreitet wie in den Großstädten. Bei den »somatoformen« Störungen handelt es sich um körperliche Beschwerden, wie etwa Erschöpfung, Schmerzen oder Herz-Kreislauf-Beschwerden, für die sich keine organische Ursache finden lässt und die man auf die Psyche zurückführt. [148]
Man könnte meinen, dass die Stadt auf ihre Einwohner eventuell eine abhärtende Wirkung hätte, dass gerade Städter im Laufe der Zeit eine gewisse Immunität gegen Stress entwickeln müssten. Obwohl das im Einzelfall passieren mag, trifft in der Regel das Gegenteil zu: Je »mehr« Stadt wir ausgesetzt sind oder je länger wir als Kind in einer Großstadt gelebt haben, desto empfindlicher reagieren wir offenbar generell auf stressige Situationen. Das geht so weit, dass Forscher allein an unserem Gehirn erkennen können, ob wir als Kind in einer Stadt aufgewachsen sind bzw. wie groß die Stadt ist, in der wir als Erwachsene leben.
In einer Studie dazu, erschienen im Wissenschaftsmagazin Nature , untersuchte ein deutsches Hirnforscherteam Personen, die entweder auf dem Land, in Orten mit mehr als 10 000 Einwohnern oder in Großstädten mit über 100 000 Einwohnern wohnten bzw. dort ihre Kindheit verbracht hatten. Während sie in einem Kernspintomographen lagen und man ihre Hirnaktivität aufzeichnete, stresste man die Testpersonen mit anspruchsvollen Mathe-Aufgaben. Zeitdruck erhöhte den Stress zusätzlich, und dann war da noch der Versuchsleiter, der den Leuten über einen Kopfhörer mit scharfer Kritik in den Ohren lag.
Das Ergebnis: Gewisse »Stresszentren« des Gehirns leuchteten im Scanner umso stärker auf, je größer die Stadt war, in der die Testperson lebte, oder auch je mehr sie ihre Kindheit in einer Stadt verbracht hatte. Bei jenen Menschen, die aktuell in einem Dorf wohnten, erregte sich zum Beispiel eine Hirnregion namens Mandelkern (Amygdala) unter Druck nicht sonderlich stark, bei den Städtern fiel diese Erregung im Vergleich dazu schon etwas heftiger aus, am heftigsten aber war sie bei den Großstädtern. Der Mandelkern ist eine Hirnstruktur, die unter anderem bei Angstreaktionen eine wichtige Rolle spielt: Wenn Sie nachts mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend durch eine düstere Gasse eilen, die Ihnen nicht ganz geheuer vorkommt, dann können Sie davon ausgehen, dass Ihr Mandelkern gerade verrücktspielt und Ihren Körper in Alarmbereitschaft versetzt.
Die anregende Wirkung der Großstadt könnte somit, wie die Forscher spekulieren, unter Umständen auch etwas zu anregend werden, über den Mandelkern eine Art von Daueralarmzustand in uns auslösen und so stressbedingten Krankheiten – zu denen man auch viele psychische Störungen, wie Depressionen, zählt – Vorschub leisten. [149]
Der virtuelle Superorganismus
oder Wenn Facebook eine Stadt wäre
Dorf- und Stadtgehirn ticken also etwas anders, was ja, angesichts der unterschiedlichen Umwelten, denen sich das Gehirn anpassen muss, auch nicht weiter verwunderlich ist. Stellt sich nur die Frage: Wie lange wird dieser Unterschied noch bestehen bleiben? Spielt es in Zeiten des Internets nicht eine stets geringere Rolle, wo wir leben? Jeder ist per E-Mail, Skype, Facebook etc. jederzeit überall zu erreichen. Man braucht kaum noch vor die Tür zu gehen, um in der Welt, um mitten im Geschehen zu sein.
Wenn nun aber zwei der treibenden Kräfte hinter der urbanen Rastlosigkeit tatsächlich (1) die Dichte der Eindrücke, Informationen, Veranstaltungen etc. sowie (2) die Dichte der zwischenmenschlichen Kontakte sein sollten, dann würde eine Konsequenz der Tatsache, dass diese »Anregungsdichte« in der virtuellen Welt noch unvergleichlich viel höher ausfällt als in jeder »wirklichen« Welt, darin bestehen, dass wir in Sachen Rastlosigkeit
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