Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)
Glückskiller bei der Wahl des Wohnorts. Da stehen wir also, vor dem tollen Haus am andern Ende der Stadt. Wir sind begeistert. Von der Architektur, von dem großen Garten oder dem Extra-Gästezimmer – das Haus erscheint uns so viel schöner als die Wohnung, die nur fünf Minuten Fußweg vom Arbeitsplatz entfernt liegt. Also schlagen wir zu, ohne die Qual des Pendelns, die zu diesem Haus gehört, einzukalkulieren.
Natürlich gibt es viele gute Gründe, ein gewisses Pendeln in Kauf zu nehmen. Kein so guter Grund ist es, wenn lediglich das Extra-Gästezimmer den Ausschlag gibt. An das Extra-Gästezimmer gewöhnt man sich nämlich bald, an den täglichen Nahkampf im Straßenverkehr jedoch nicht.
Nach Berechnungen der Schweizer Wirtschaftswissenschaftler Alois Stutzer und Bruno Frey müsste jemand, der pro Tag 44 Minuten pendelt, monatlich 470 Euro (gut 35 Prozent) mehr verdienen, um den Glücksschwund, den er einem Nicht-Pendler gegenüber erleidet, zu kompensieren. Zugleich weisen Studien darauf hin, dass gerade wir Deutsche verhältnismäßig fleißig pendeln, und zwar im Schnitt etwa eine Dreiviertelstunde täglich. Von allen untersuchten westeuropäischen Ländern werden wir dabei nur von den Holländern übertroffen (die Belgier, Finnen, Dänen, Schweden, Spanier, Engländer, Irländer, Franzosen, Österreicher, Luxemburger, Griechen, Italiener und Portugiesen – sie alle pendeln weniger lang als wir). [155] Warum tun wir uns das an?
Wohl auch deshalb, weil wir bei der Wahl unserer Wohnung nicht hinter unseren Mitmenschen zurückfallen wollen. Wir wollen nicht nur absolut, sondern auch relativ gut dastehen. Ja, unter Umständen ist es uns sogar wichtiger, relativ gut dazustehen: Wir nehmen eine tägliche Qual in Kauf (lange Pendelzeit, hohe Hypothek, die uns knebelt, Job, der uns frustriert) und opfern unsere »absoluten« Bedürfnisse nachgerade einem zwischenmenschlichen Positionskampf.
Und aus Sicht der Natur ergeben ein solcher Kampf und ein solches Opfer ja auch Sinn! Sobald es um unsere Vermehrung geht, ist es eben nicht nur wichtig, wie wir absolut abschneiden, nein, entscheidend ist, dass wir unseren Nachbarn stets um eine Nasenlänge voraus sind.
Unsere nächsten Artgenossen werden immer auch unsere ärgsten Konkurrenten sein, daran wird selbst ein noch so hoher Wohlstand nichts ändern (sie sind es, die uns den Job oder den Partner wegschnappen). Dennoch haftet relativen Positionskämpfen, die inmitten eines nie dagewesenen Wohlstands teils erbittert ausgefochten werden, zuweilen etwas Absurdes an. Was würden wir tun, wären unsere Nachbarn Millionäre? Dann bliebe uns wohl nichts anderes übrig, als der zweiten Million hinterherzujagen. Was uns zu noch härterem Schuften veranlassen würde – aber wofür eigentlich? Zu welchem Ende? Und um welchen Preis? (Der Großteil der Menschheit würde uns wahrscheinlich am liebsten heute schon wachrütteln und zurufen wollen: Ihr seid doch alle längst kleine Millionäre!)
Und ja, wir zahlen für das Wettrüsten einen Preis. Im Extremfall besteht er darin, dass wir bei all den zwischenmenschlichen Kämpfen aus dem Auge verlieren, was wir uns einst sonst noch vom Leben erhofft und erträumt hatten und wofür es sich wirklich zu kämpfen lohnt. Am Ende, nach einem erschöpfenden Dauerstrampeln im Hamsterrad, haben wir vielleicht einige (uns gar nicht so wichtige) Leute beeindruckt und können uns den einen oder anderen materiellen Luxus leisten, der unsere Nachbarn vor Neid erblassen lässt. Den Krimi aber, den wir immer schreiben wollten, haben wir nie geschrieben. Wir sind auch nie zu der dreimonatigen Weltreise gekommen, bei der wir zu Fuß die Namib-Wüste durchqueren wollten. Ja, wenn man es genau nimmt, haben wir in unserem Leben viel zu wenig von dem gemacht, was wir eigentlich hatten machen wollen.
Erinnern Sie sich an die Harvard-Studie am Ende des zweiten Buchteils? Forscher hatten Testpersonen unterschiedliche Szenarien vorgelegt (wollen Sie lieber 50 000 Euro jährlich verdienen, während alle andern 25 000 bekommen? Oder bevorzugen Sie 100 000 bei einem durchschnittlichen Konkurrenzgehalt von 200 000?). Es zeigte sich, dass es uns oft darauf ankommt, unsere Mitmenschen zu übertreffen, selbst wenn das auf Kosten unserer absoluten Einkünfte oder unseres absoluten IQ geht.
Das war aber noch nicht alles. Wie sich in der Studie ebenfalls herausstellte, gilt diese weitverbreitete Vorliebe für relatives Besserabschneiden nicht in
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