Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)
das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht haben (und dass langsam auch der Online-Dorfbewohner stark beschleunigt werden dürfte). So stimulierend die Großstadt auch sein mag, 20 Minuten Multitasking vor einem Computer bieten, richtig genutzt, eine noch höhere Erlebnis-, Informations- und Kontaktdichte.
Fast kann einem der arme Offline-Zeitgenosse leidtun, der sich nach wie vor tapfer durch den Großstadtdschungel kämpft, um seine Geschäfte zu erledigen, der Kunden einzeln abklappert oder in Bibliotheken verstaubte Bücher nach Informationen durchstöbert – die Strapazen, die er auf sich nimmt, muten geradezu rührend heroisch an, verglichen mit jener eleganten Effizienz und Ökonomie, mit der sein Online-Kollege im gleichen Zeitraum durchs Netz surft. Recherchen, für die man einst Stunden, Tage, Wochen oder noch länger brauchte, sind häufig nur noch ein paar Klicks entfernt. Kunden erreicht man per Rundmail schneller, leichter und in weitaus höherer Zahl als per Rundreise. Was die Anregungsdichte betrifft, verblasst im Vergleich zu den Untiefen des Internets sogar das nicht eben spärliche Angebot an Veranstaltungen oder zwischenmenschlichen Austauschmöglichkeiten, das sich den Einwohnern von Millionenmetropolen wie London oder Tokio bietet.
Ein Facebook-Mitarbeiter hat die Freundschaftsverbindungen von zehn Millionen Facebook-Mitgliedern untereinander visualisiert – das Resultat sieht man oben. Wäre Facebook eine Stadt, sie würde rund 750 Millionen Einwohner zählen, jeder Einwohner hätte über 100 Freunde, die Stadt selbst würde ihren Einwohnern gut 900 Millionen Ausflugsziele bieten (Seiten, Gruppen etc.), und man würde in dieser Mega-Multikultimetropole über 70 Sprachen sprechen. [150]
Überträgt man die Erkenntnisse des Sante-Fe-Physikerteams auf die virtuelle Welt, die jede urbane Größenordnung sprengt, erscheint es als gar nicht allzu wilde Spekulation, dass der Online-Mensch von morgen, je mehr er zum Einwohner jener Supermetropole namens Internet wird, sich umso mehr auch in ein noch erfinderischeres, kreativeres, produktiveres, ruheloseres und stressanfälligeres Wesen verwandeln wird, als unser herkömmlicher Großstädter ohnehin schon ist. Das ist die eine Seite.
Die andere sieht so aus, dass, Internet hin oder her, nach wie vor Millionen Geschäftsleute Tag für Tag in ihren Wagen, in den Zug und ins Flugzeug steigen, nur um ihre Geschäftspartner und Kunden persönlich aufzusuchen. Wissenschaftler reisen von Konferenz zu Konferenz, um ihre Kollegen zu sehen und von ihnen gesehen zu werden. Autoren geben, statt einfach ein Youtube-Video online zu stellen, Lesungen in entlegenen Dörfern, bei denen (ich spreche aus Erfahrung) oft nicht mehr als zwei Dutzend hartnäckig Interessierte auftauchen. Anderes Beispiel: Wer auf Facebook versucht, sich mit Leuten zu befreunden, die er nie zuvor in der Offline-Welt getroffen hat, beißt für gewöhnlich auf Granit. Die meisten unserer Facebook-Freunde haben wir in unserem Leben mehrmals getroffen.
Woher kennen Sie Ihre Facebook-Freunde? Wahrscheinlich aus dem wirklichen Leben, wie das hier abgebildete Ergebnis einer Umfrage unter Hunderten von Facebook-Mitgliedern einmal mehr unterstreicht. [151]
So wird es wohl auch bis auf weiteres bleiben. Als biologische Wesen werden wir vermutlich immer auf den direkten Kontakt zu unseren Mitwesen angewiesen sein, um so etwas wie Vertrauen und Nähe herzustellen. Und tatsächlich ist, wie sich herausstellt, der unmittelbare Kontakt zu unseren Mitmenschen auch gar nicht ineffizient oder unproduktiv, es verhält sich genau umgekehrt: Wir brauchen die persönliche Nähe geradezu, um effizient und produktiv zu sein.
Einen schönen empirischen Beleg dafür liefert die Welt der Wissenschaft, wo es, im Gegensatz zu früher, viel seltener geworden ist, als zurückgezogenes Einzelgenie weitgehend im Alleingang bahnbrechende Entdeckungen zu machen. Stattdessen arbeitet man zunehmend in Teams, und hier gilt: Je näher die Teams rein räumlich zusammenarbeiten, desto erfolgreicher sind sie, was sich direkt am Einfluss ihrer Publikationen ablesen lässt.
Üblicherweise ist es bei einer wissenschaftlichen Publikation so, dass der Forscher, der die Autorenliste anführt, die praktische Hauptarbeit gemacht hat, bei dem zuletzt aufgelisteten Autor handelt es sich meist um den »Chef« des Projekts (Laborleiter, Institutsdirektor, derjenige, der das Geld für das Projekt aufgetrieben und
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