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Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast

Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast

Titel: Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois Duncan
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Blicke zuwarf, sprachen sie den Rest des Abends nur noch über unverfängliche Dinge, und der kurze Moment, in dem sie ihr beinahe alles erzählt hätte, lag unwiederbringlich hinter ihr.

DREIZEHN
    Die junge Frau in dem ge stärk ten wei ßen Schwesternkittel stellte die Vase mit den Nelken auf das Fensterbrett und warf einen Blick auf die beiliegende Karte.
    »Die hier ist von einer Crystal«, sagte sie. »Sie schreibt ›Werde schnell wieder gesund, ohne dich macht alles nur halb so viel Spaß‹.« Sie blickte auf und deutete mit einer ausholenden Geste auf all die anderen Blumensträuße, die auf der Fensterbank, dem Nachttisch und aus Platzmangel sogar auf dem Boden standen. »Das ist das reinste Gewächshaus hier. Wie viele Freundinnen haben Sie denn, um Himmels willen?«
    »Genügend«, antwortete Barry mürrisch.
    Von allen Krankenschwestern mochte er sie am wenigsten. Sie war noch jung, kaum älter als er, hatte eine sehr direkte, energische Art und war hübsch. Genauer gesagt entsprach sie auffallend seinem Beuteschema, und hätte er sie unter anderen Umständen kennengelernt, hätte er sich bestimmt an sie rangemacht. Er war sich sicher, dass sie ihm nicht hätte widerstehen können. Aber die Tatsache, dass er hilflos und bewegungsunfähig wie ein Käfer auf dem Rücken lag und ihr sozusagen ausgeliefert war, brachte ihn schier um den Verstand.
    Er drehte den Kopf weg, schloss die Augen und tat so, als wolle er schlafen. Einen Augenblick später hörte er am Rascheln ihres Kittels, dass sie das Zimmer verließ.
    Es war Mittwoch. Er hatte es erst nicht glauben wollen, als er es heute Morgen hörte – was war aus dem Dienstag geworden? Und dann war der gestrige Tag Stück für Stück in seine Erinnerung zurückgekehrt: wie er im Krankenbett den langen Flur hinuntergerollt worden war, das von Sorge gezeichnete Gesicht seines Vaters, der auf ihn hinunterblickte. Die zweite Hälfte des Dienstags war schon etwas präsenter gewesen. Seine weinende Mutter. Eine Kanüle in seinem Arm. Eine in der Bauchvene. Ein Arzt mit schlohweißem Schopf, ein anderer mit schwarzen Haaren.
    Überraschenderweise konnte er sich nicht daran erinnern, Schmerzen gehabt zu haben.
    »Wir haben ihn ruhiggestellt«, hatte der schwarzhaarige Arzt gesagt, während sein Vater sich über ihn gebeugt und etwas gefragt hatte. Er hatte es trotzdem mitbekommen, so weggetreten war er dann doch nicht gewesen.
    »Es war Helen«, hatte er mühsam hervorgepresst, und sein Vater hatte genickt, als habe er mit dieser Antwort gerechnet.
    »Er sagt, Helen hätte ihn angerufen«, hatte er zu jemandem hinter sich gesagt, woraufhin Barry die Stimme seiner Mutter hörte, die aufgebracht entgegnete: »Wer sonst? Ich habe von Anfang an gesagt, dass dieses Mädchen nichts als Ärger machen würde.«
    Heute Morgen dann war er schon deutlich klarer im Kopf gewesen und hatte auch seine Umgebung wieder wahrgenommen: den Stapel Karten mit Genesungswünschen auf seinem Nachttisch, die im ganzen Zimmer verteilten Blumen, die verschiedenen Schwestern, die ihn versorgten. Er war entsetzlich schwach. Das wurde ihm erst so richtig klar, als er unter höchster Kraftanstrengung nach der zuoberst liegenden Karte griff und feststellte, dass seine Hand so sehr zitterte, dass er den Umschlag nicht öffnen konnte.
    Aber er hatte kaum Schmerzen, was ihn angesichts der Tatsache, dass eine Kugel praktisch einmal quer durch seinen Körper hindurchgegangen war, ziemlich überraschte.
    »Ich spüre meine Beine überhaupt nicht mehr«, hatte er zu dem Arzt mit dem schlohweißen Schopf gesagt, der heute Morgen den Verband überprüft hatte.
    »Keine Sorge, sind beide noch da«, hatte der Arzt mit einem beruhigenden Lächeln geantwortet und scherzend hinzugefügt: »Oder haben Sie vielleicht nach einem dritten gesucht?«
    Die langstieligen rosa Rosen waren von Helen. Auf der Karte stand »In Liebe, Hel«. Es war exakt der gleiche Wortlaut wie auf dem Foto, das sie ihm geschenkt hatte und das jetzt umgeklappt auf der Kommode in seinem Zimmer im Studentenwohnheim lag.
    Er wünschte, es gäbe einen Weg, sie wissen zu lassen, dass er das Bild umgeklappt hatte. Dass er schon mit ihr fertig gewesen war, bevor er die Kugel abbekommen hatte. Die Entscheidung getroffen zu haben, sich von einem Mädchen zu trennen, das sich allmählich in einen Klotz am Bein verwandelt hatte, war eine Sache. Aber es war etwas völlig anderes, feststellen zu müssen, dass einem die Entscheidung bereits abgenommen

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