Ich werde dich so glücklich machen: Roman (German Edition)
an den Füßen, wo die Strumpfhose nach vorn gerutscht war und vor den Zehen eine lose Spitze bildete. Sie trug ein rotes Hemdchen, das einen Teil von Unterhose und Bauch entblößte, das war alles. Keine Pantoffeln, keinen Pullover und keine Strickjacke.
Sie verspürte für einen Moment die übliche tiefe Abneigung gegenüber Herrn Karlsen, war aber zu hungrig, um dieses Gefühl wirklich auszukosten. Sie hatte gerade die erste Kartoffel zerteilt, als Nina anklopfte.
»Musst du vielleicht aufs Klo?«, fragte Irene.
Nina schüttelte den Kopf und starrte die Fußmatte an.
»Nina kann doch einfach reinkommen und in deinem Zimmer warten, bis wir gegessen haben.«
»Willst du das?«, fragte Irene.
Nina nickte. Irene öffnete die Tür ganz weit. Nina kam langsam herein mit krummem Rücken, dessen Anblick wehtat. Sie schien sich nicht die Hose nassgemacht zu haben, aber an einer weißen Strumpfhose war das ja nur schwer zu sehen. Sie schnupperte vorsichtig, als die Kleine vorüberging, nahm aber nur den schwachen Geruch ungewaschener Haare wahr.
»Hast du gegessen, Nina?«, fragte sie.
Nina reagierte nicht sofort, aber nach einigen Sekunden legte sie den Kopf schräg und schaute Irene an, die sofort ihr Ohr an Ninas Mund hielt.
»Nein, denn ihr Vater hatte keinen Hunger und wollte erst heute Abend etwas machen«, sagte Irene und fügte aus eigenem Antrieb hinzu: »Nina darf nicht an den Kühlschrank, nur wenn sie sich morgens das Pausenbrot schmiert. Und jetzt hat er abgeschlossen. Und außerdem, Mama, kocht er so komisches Essen, sagt Nina.«
Nina krümmte sich noch mehr zusammen, als Irene das sagte, sie war so klein und dünn und hatte so einen großen Kopf, sie sah aus wie ein Lutscher, nur wie ein unappetitlicher.
»Dann isst sie bei uns.«
Nina bekam eine von Holgers Kartoffeln.
»Zum Nachtisch gibt es Grießpudding mit Himbeersoße, sicher wirst du satt«, sagte sie zu Holger.
Nina saß zusammengesunken da und starrte ihren Teller an, teilte die Kartoffel mit der Gabel und schien nicht zum Messer greifen zu wollen. Als ihr eine Scheibe Blutpudding hingelegt wurde, nahm sie auch die Gabel.
»Und ein bisschen Speck musst du auch haben. Was ist denn eigentlich komisches Essen?«
»So allerlei. Kann ich das sagen, Nina?«, fragte Irene.
Nina nickte.
»Zum Beispiel… also, er macht Ölsardinen zusammen mit Makkaroni warm. Das mag Nina überhaupt nicht. Er isst sehr viel Fisch, fast nur Fisch. Den kriegt er von einem Kollegen, der selbst angelt.«
»Fisch ist doch gesund.«
»Ja, aber doch nicht nur, Mama! Fast jeden Tag! Und wenn er Hering brät, dann sagt er immer, dass man alle Gräten mitessen kann, weil die so dünn sind, dass sie keinen Schaden anrichten können. Er macht das auch selbst. Wie bei den Sardinen. Und das mag Nina auch nicht.«
»Nein, das klingt wirklich ein bisschen …«
»Und dann kauft er fast nur Kaviar für die Pausenbrote. Nina kriegt niemals Schokolade oder Kunsthonig oder Marmelade oder so was. Und auch nie irgendein Müsli mit Zucker.«
Nina belud ihre Gabel und blickte rasch zu den anderen hoch, ehe sie das Essen in den Mund schob und mit zusammengepressten Lippen anfing zu kauen. Sie hatte lange vor Irene alles aufgegessen, und als der Grießpudding auf den Tisch gestellt wurde, aß sie ebenso schnell drei Portionen und dazu trank sie zwei Glas Milch.
Es war schwer, ein normales Gespräch mit Holger zu führen, wenn Nina hier saß. Sie merkte es auch Holger an, sie wurden verlegen durch ihren unterdrückten Zorn. Die Kleine war doch halb verhungert, und ihr Vater hatte sie fast ohne Kleider ausgesperrt.
»Gehen wir in mein Zimmer?«
Nina nickte und rutschte vom Stuhl. Der Sitz war nicht nass. Einmal hatte sie auch in der Schule in die Hose gemacht und den Rest des Tages mit nasser Hose verbringen müssen. Alle hatten sie ausgelacht, aber sie war nicht nach Hause gelaufen. Nur Irene wusste, dass es daran lag, dass sie keinen Wohnungsschlüssel hatte. Aber dass sie nicht lieber im Treppenhaus saß, als so ausgelacht zu werden? Das war unbegreiflich. In der Schule war sie nicht mit Nina befreundet, das ging nicht. Außerdem schien Nina Lachen und Spottrufe nicht zu hören. Sie senkte nur den Kopf und weinte nie, machte ein ziemlich steifes Gesicht mit dem immer gleichen Ausdruck, fast wie Barbie, nur dass sie nicht lächelte. Eigentlich hätte sie damals zu Mama nach Hause gehen können, Mama hätte ihr Kleider gegeben und sie bleiben lassen, bis Herr Karlsen nach
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