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Ich werde dich so glücklich machen: Roman (German Edition)

Ich werde dich so glücklich machen: Roman (German Edition)

Titel: Ich werde dich so glücklich machen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B. Ragde
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seine Brust sinken, er musste sich die Sache ein wenig überlegen, während er für einen Moment die Augen schloss. Das Gehirn arbeitete immer am besten, wenn man nicht direkt in den Fragen herumstocherte wie in offenen Wunden.

    Die Lehne aus Teak bohrte sich in seinen Nacken. Ein Mannsbild konnte keine Sofakissen kaufen, er würde die Mutter darum bitten müssen. Das würde sie überglücklich machen, zu Hause wimmelte es doch nur so von bestickten Kissen auf Sofas und Sesseln, und jedes Einzelne davon hatte sie selbst hergestellt zusätzlich zu denen, die sie am laufenden Band für die Madagaskar-Mission produzierte. An Kissen würde es nicht mangeln, wenn er fragte.
    Er hatte sie schon lange nicht mehr angerufen, und sie rief ihn nicht mehr in der Schule an. Sie wusste, dass es ihn rasend machte, von einem Kollegen zu hören: »Deine Mutter ist am Telefon, was hast du denn jetzt schon wieder ausgefressen?« Aber sie nörgelte so verdammt viel, wenn sie sich trafen, deshalb schob er Besuche bei seinen Eltern immer wieder vor sich her. Und wenn er sie im Pfarrhaus von Rissa anrief, wo sie sich mit Totenscheinen und Trauscheinen amüsierte, konnten sie kein normales Gespräch führen, ohne dass es mit dem Wunsch nach einem Besuch endete. Sie nahm immer Nina als Vorwand, Nina brauche sie, was für ein Unsinn. Nina ging es ausgezeichnet, sie war in Mathematik garantiert die Beste auf der ganzen Schule. Wenn sie ein Junge wäre, würde er ihr Schach beibringen. Sie würde garantiert der perfekte Schachspieler werden.
    Aber er konnte nicht gegen ein Mädchen Schach spielen, schon gar nicht gegen seine eigene Tochter. Die bloße Vorstellung,
von ihr geschlagen zu werden … Da war es schon besser, sie mit immer kniffligeren Aufgaben zu konfrontieren. Dabei musste er sich auch selbst auf die Probe stellen. Er öffnete die Augen, verfluchte die verdammte Armlehne und lauschte auf die Geräusche aus der Küche. Geschäftig. Die Waschmaschine polterte, und die Trommel drehte sich, zusammen mit den Geräuschen von Tassen und Tellern und Gläsern und Besteck, das gegeneinander klirrte. Drei Eimer Wasser hatten offenbar gereicht.
    Sie war erst sieben armselige Jährchen alt gewesen, als ihm aufgegangen war, in welche Richtung es bei Nina mit der Mathematik ging. Sie hatte geweint, weil sie sich auf dem Heimweg von der Schule das Knie blutig geschlagen hatte, und um sie abzulenken, hatte er ihr eine ganze Krone versprochen, wenn sie alle Zahlen von eins bis hundert auf eine kluge Weise zusammenzählen könnte. Sie hörte sofort auf zu weinen und sah ihn aus kugelrunden, triefnassen Augen an, dann hinkte sie ins Badezimmer, um nur wenige Minuten später »fünftausendfünfzig« zu rufen.
    Er würde nie vergessen, wie er mit der Zigarette dagesessen hatte, ohne daran zu ziehen, bis die Asche von selbst heruntergefallen war. Er war ins Badezimmer gegangen und hatte sie gefragt, wie sie das ausgerechnet habe. Und sie hatte wahrheitsgemäß geantwortet, wenn man alle Zahlen an beiden Enden der Zahlenreihe addierte, bekomme man jedesmal hunderteins. Und das müsste sich doch fünfzigmal wiederholen. Und fünfzig mal hunderteins ergebe fünftausendfünfzig.
    Er wusste noch, wie ihm die Hände gezittert hatten, als er ein Pflaster aus dem Badezimmerschrank nahm und es ihr gab. Carl Friedrich Gauß war schon acht gewesen, als er seinem Lehrer dieselbe Antwort gegeben hatte, weil der Lehrer den anstrengenden Schüler beschäftigen wollte. Aber genau wie Nina hatte er die Lösung erkannt. Gauß, der als Fürst der Mathematik galt.
    Wenn sie doch nur ein Junge wäre.
    Er glitt in den Schlaf und wieder heraus, sein Nacken spürte nur noch aufdringliches Unbehagen. Ihn mit einer Tochter allein zu lassen, war Annas letzte Handlung gewesen. Oft, anfangs fast jeden Tag, hatte er sie gerade deshalb gehasst, es hatte die Trauer fast überschattet. Zu allem Überfluss hatte er auf Kosten der Stadt ein Frauenzimmer einstellen müssen, das sich »Hausfrauenvertretung« nannte und das Milchpulver in heißes Wasser rührte, das kleine Wurm damit fütterte und alle Eimer mit weißen Stofffetzen füllte, die eingeweicht und gekocht und gewaschen werden mussten, ehe sie abermals Ausscheidungen aufnehmen konnten.
    Wenn sie schon bei etwas so einfachem wie einer Geburt hatte sterben müssen – etwas, das Frauen überall auf dem Erdball tadellos und sozusagen ununterbrochen zustande brachten –, dann war das Ergebnis ihrer letzten Tat auf Erden auch noch

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