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Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Titel: Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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unglaublich. So dumm kann doch ein Mensch gar nicht sein, wie ich es bin! Zu nichts in der Lage, zu nichts fähig. Traumhaft. 100 Punkte hat der Kandidat. Vielleicht auch noch ein paar mehr. Gelungenes Leben. Schön viel Blut. Herrlich. So kann man sich sein Leben auch kaputt machen.
    Während ich so dasitze, merke ich, dass ich es schon wieder tun könnte. Ich gerate in diesen Strudel. Ganz allmählich drehe ich mich mit. Erst langsam die großen Kreise … Mir fehlt die Energie, die mich davon abhalten würde. Oder ein Ziel. Die ganzen Narben sind kacke und sie verbauen mir einiges. Aber verdammt! Ist es nicht eh schon zu spät? Ich bin es eben nicht wert. Und mein Scheißkörper hat es doch nicht anders verdient, als Narben zu haben.
    Essen – genau das Gleiche. Wieso Essen? Klar, ich brauche Kraft und Energie. Auch für meinen Sport, der ja alles in meinem Leben ist – mein einziger Lichtblick. Aber trotzdem … Ich muss mich wirklich zum Essen zwingen. Ich weiß, welche Portionsgrößen eine Frau normalerweise isst, und die versuche ich dann tatsächlich zu schaffen. Hunger habe ich nie. Magersucht ist anders. Da will man abnehmen. Das will ich gar nicht. Ich denke nur nicht daran zu essen.
    Meine Gedanken machen mich verrückt. Ich mache mich verrückt.
    Behutsam versuche ich, das Pflaster wieder aufs Bein zu kleben, aber es hält nicht mehr richtig. Deshalb fixiere ich es mit dem Verband. Fast liebevoll halte ich ihn mit der einen Hand fest und wickele ihn mit der anderen um mein geschundenes Bein. Mein armes Bein. Ist einfach beim falschen Menschen festgewachsen und muss das nun ausbaden …
    Erstaunt stelle ich fest, dass der Strudel mich allmählich loslässt. Ganz von allein schubst er mich zurück aufs Sofa, ohne dass ich mir eine neue Verletzung zugefügt habe. Glück gehabt! Auch wenn ich nicht weiß, warum.
    Mit einem tiefen Schnaufer und einem stechenden Schmerz im Bein rappele ich mich auf, um mich an den Computer zu setzen und meine Missbrauchs-Forum-Seite aufzurufen. Wenn mich jemand versteht, dann meine virtuellen Freundinnen. Bestimmt haben viele von ihnen schon ähnliche Erfahrungen gesammelt wie ich.
    »Im Moment ist einfach wieder das Thema Selbstverletzen so aktuell. Fakt ist, dass ich es nicht will und es nicht darf. Und trotzdem bin ich in einigen Momenten unfähig, es zu verhindern. Völlig bescheuert!
    Problem ist einfach, dass ich es absolut nicht steuern kann, wenn es denn passiert. Vielleicht hätte ich kein so großes Problem damit, wenn ich wüsste, dass nichts passiert, was wirklich bedrohlich ist. Aber genau das bekomme ich ja nicht auf die Reihe. Ich wollte mich nie wieder so verletzen, dass es chirurgisch versorgt werden muss. Aber ich kann es nicht kontrollieren. Der Arzt im Krankenhaus hat mich gefragt, was ich denn bitte aus mir herausschneiden will. Keine Ahnung. Alles Eklige wahrscheinlich. Und das Schlimme ist: Wenn es wie in Trance passiert, dann merke, denke ich: Na, klasse! Aber es tut nicht weh oder schockiert mich. Obwohl das halbe Bein aufgeschlitzt ist, finde ich es eher noch faszinierend, die anatomischen Strukturen und verschiedenen Schichten mal real zu sehen. Ist das nicht völlig krank? Natürlich musste ich mir vom Arzt auch wieder anhören, dass er mich so normalerweise gar nicht nach Hause gehen lassen dürfte. Aber danach bin ich ja absolut klar und kann mich völlig davon distanzieren. Wie gesagt: Ich will es ja tatsächlich nicht.«
    Eintrag in ein Missbrauchs-Forum, 14. Juli 2011, 21:13 Uhr
    Dann schalte ich den Computer auf Stand-by und hinke in die Küche, weil mir eingefallen ist, dass ich heute Abend noch nichts gegessen habe. Meine Freundin Kerry hat mir ein Fertig-Risotto geschenkt, weil ihr aufgefallen ist, dass ich noch weiter abgenommen habe. »Das geht schnell, ist lecker und bio«, hat sie erklärt, als sie es in meiner Küche abgestellt hat, zusammen mit allerlei anderen Leckereien. Meine liebe Freundin Kerry! Ich schütte die Mischung mit etwas Brühe und Weißwein in einen Topf und gieße mir selbst auch noch ein Glas Wein ein. Damit ich später besser einschlafen kann … Dabei schießt mir ein heißer Stich in die Magengegend – denn morgen muss ich schon wieder zur Vernehmung und die Abende davor und danach sind immer die schlimmsten. Ich seufze. Wahrscheinlich verletze ich mich deshalb so heftig. Es gab Phasen nach meinem Auszug, da habe ich es längere Zeit überhaupt nicht getan. Vor allem, seit ich die Ausbildung begonnen habe und

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