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Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Titel: Ich werde immer da sein, wo du auch bist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Lacour
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mitkriegt, bis sie bei einem das Gesicht verzieht und »Autsch« sagt.
    »Dreihundert Dollar.«
Sie bewegt nur die Lippen und lässt ihn auf den Tisch zurückfallen. Ich weiß nicht, ob sie das zu mir oder zu dem Stiefel oder allgemein zu der Auslage sagt.
    Ich versuche mir vorzustellen, dass ich mit diesem Mädchen und ihren anonymen Freunden abhänge, weit weg von den übrigen Schülern und Schülerinnen.
    Dad bringt die Tüte mit den neuen Schuhen.
    »Tschüs«, sage ich zu Melanie.
    Sie hebt eine Hand und bewegt die Finger, aber sie sieht nicht in meine Richtung.
    Als wir aus der Mall gehen, fragt Dad: »Kennst du sie?« Er fragt das ein bisschen zu laut. Meine Eltern sind im Vergleich zu anderen Eltern ziemlich vorurteilslos, aber ich merke, dass Dad etwas beunruhigt ist. Ich will es mal so ausdrücken: Man braucht nicht zu wissen, dass Melanie in die Kurse für »gefährdete« Jugendliche geht, um zu merken, dass mit ihr irgendwas nicht ganz stimmt.
    »Nö. Sie geht nur auf meine Schule.«

21
    Am Montagmorgen bin ich früh genug auf dem Schulgelände, um noch vor der ersten Stunde zu meinem Spind zu gehen. Als ich mein Mathebuch in das oberste Fach lege, hab ich plötzlich den Drang, Ingrids Foto kurz abzumachen, und schaue in den Spiegel.
    Ich habe heute Morgen nur geduscht und Jeans und ein altes T-Shirt angezogen. Wenn ich aus der Dusche trete, ist der Badezimmerspiegel beschlagen, deshalb muss ich mich dann nicht sehen. Ich schaue auf mein weißes Shirt, und mir wird klar, dass es meinem Vater gehören könnte. Es ist so groß, dass es sich regelrecht aufbläht. Was Ingrid wohl sagen würde, wenn sie wüsste, wie ich mich gehenlasse?
Du willst doch nicht ernsthaft so aus dem Haus gehen?
Oder vielleicht:
Hey, reiß dich mal zusammen!
    Ich berühre das Foto und will lieber keinen weiteren Blick in den Spiegel riskieren.
    Im Flur nähern sich schwere Schritte, und als ich meinen Blick von dem Hügel löse, steht Dylan neben mir und stellt die Kombination von ihrem Schloss ein.
    »He!« Ich möchte meine Unhöflichkeit vom Freitag wiedergutmachen.
    Sie hebt müde eine Hand zum Gruß und murmelt etwas in einer Sprache, bei der ich mir nicht sicher bin, ob es Englisch ist.
    »Wie bitte?«
    Sie zeigt auf den silbrigen Iso-Becher in ihrer anderen Hand.
    »Zu früh«, nuschelt sie kaum verständlich. »Hab noch nicht genug Kaffee intus.«
    Als ich den Fachraum vom Fotokurs betrete, sehe ich als Erstes an der Tafel eine Liste von Schülern, die ihre Arbeiten noch nicht abgegeben haben.
    Da stehen ein paar Namen und dahinter eine oder zwei unerledigte Aufgaben. Mein Name ist der einzige, hinter dem steht:
Alle.
    Mir fallen alle die Fotos ein, die ich machen wollte, und das tut weh. Es fühlt sich mies an. Aber wenn ich Ms Delani eine Arbeit abgeben sollte, an der mir wirklich was liegt, käme das der Aufforderung gleich, mich zu zerreißen. Danke, nein.
    Ich lasse mich auf meinen Stuhl in der letzten Reihe fallen und höre nur halb zu, wie Veena uns unsere nächste Aufgabe erklärt: Ein Stillleben. Sie lässt Bücher herumgehen, um uns Beispiele zu zeigen. Ich betrachte die leblosen Dinge. Eine Schale mit Früchten. Einen Bücherstapel. Ein Paar theatralisch beleuchteter zertanzter Ballettschuhe.
    Aus dem Nichts trifft mich eine Eingebung.
    Ich kann die Mittagspause kaum abwarten. Als es endlich so weit ist, sehe ich die Pausenaufsicht zum hinteren Parkplatz gehen und laufe schnell in die entgegengesetzte Richtung. Auf dem Gehweg am Rand des Geländes befestige ich meine Kamera auf dem Stativ und schaue durch den Sucher. Ich wähle den Bildausschnitt so, dass die Straße und der Gehweg auf der anderen Straßenseite noch zu sehen sind. Ich warte. Ich sehe ein Auto näher kommen. Es fährt vorbei, und ich drücke auf den Auslöser. Wenig später kommen noch zwei Autos, und ich fotografiere sie. Ich bleibe während der ganzen Mittagspause hier, warte auf Autos und fotografiere sie, wenn sie an mir vorbeirasen. Ich weiß, das ist keine Kunst. Ich tue das aus Trotz, aber mit jedem Mal, wenn ich auf den Auslöser drücke, geht es mir besser.

22
    »Das war interessant«, sagt MrRobertson. »Ein richtig guter Mix.« Er wandert zwischen unseren Tischen auf und ab und legt unsere Aufsätze mit der beschriebenen Seite nach unten auf seinen Tisch. »Aber nur zweimal die volle Punktzahl. Caitlin, Dylan, gut gemacht. Ihr anderen seid zu sehr an der Oberfläche geblieben. Es gibt in der Poesie verschiedene Bedeutungsebenen. Ihr

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