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Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Titel: Ich werde immer da sein, wo du auch bist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Lacour
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meinen Aufsatz heraus. Hoffentlich finde ich ein paar Sätze, die sich halbwegs intelligent anhören.
    »In diesem Lied geht es um Reue«, lese ich, »und um die Unmöglichkeit, jemanden wirklich zu kennen oder ihn ganz zu verstehen.« Ich ziehe die Schultern hoch. »Na ja, und so weiter.«
    Der Kellner bringt unsere Suppen.
    »Vielen Dank.« Dylan sieht zu ihm hoch.
    »Danke schön«, sage ich dann auch.
    Wir schöpfen mit den tiefen Löffeln etwas Suppe und warten kurz, damit sie sich abkühlt.
    »Und worüber hast du geschrieben?«
    »Über ein Lied von Bob Dylan«, sagt sie. »Das passt doch.« Sie fischt einen Pilz aus der Suppe und fügt hinzu: »Ich bin nach ihm benannt worden.«
    »Ach so. Na dann.«
    »Ich hab mir
The Times they are a-changing
ausgesucht, aber eigentlich hab ich das nur zum Vorwand genommen, um über den Unterschied zwischen seiner und unserer Generation zu schreiben, und wie toll es wäre, wenn das Lied auch zu uns passen würde. Tut es aber nicht. Wir sind zu selbstgefällig.«
    Ich weiß nicht genau, was sie meint, deshalb sage ich nur: »Ich glaube, ich kenne gar keine Songs von ihm.«
    Sie erwidert nichts, und eine Zeitlang essen wir nur. Das Schweigen geht mir auf die Nerven. Nicht nur, dass ich kein einziges Lied von Bob Dylan kenne, ich hab auch nichts Wichtiges zu sagen.
    Sie trinkt ihren Kaffee aus und bestellt noch einen. Ich seh mich nach den anderen Tischen um, wo Leute sich unterhalten und nicken.
    »Ich hab gehört, du bist von deiner alten Schule geflogen, weil du mit einem Mädchen auf der Toilette rumgeknutscht hast«, platze ich raus.
    Sie zieht die Augenbrauen hoch und schaut angestrengt in ihren Suppenteller, als würde sie da die Anweisung finden, wie sie reagieren soll. Dann lacht sie.
    »Diese Schule ist so was von abgefahren.« Sie schüttelt den Kopf und streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Also, echt. Und mich macht immer noch fertig, dass alle Häuser dieser Stadt nach einem einzigen Grundriss gebaut wurden, der immer und immer wieder kopiert wurde, und dann hat man sie in verschiedenen Farben angestrichen.« Sie löffelt eine Bohne. »Kein Wunder, dass die meisten Schüler der Vista wie Klone sind. Bevor wir hierher zogen, hatte ich keine Ahnung, dass es so nah bei San Francisco so einen Ort gibt.«
    Obwohl Los Cerros nicht meine Lieblingsstadt auf dieser Welt ist, muss ich sie ein bisschen verteidigen. »Es ist ja nicht alles so.«
    »Na, dann lass uns mal losziehen. Zeig mir die Stadt.«
    Wir teilen uns die Rechnung, aber Dylan legt das Trinkgeld hin, weil sie sich noch einen dritten Kaffee zum Mitnehmen bestellt.
    Als wir das Restaurant verlassen, sagt sie: »Übrigens – falls du dich das gefragt hast –, mein Vater ist versetzt worden. Er hatte aber keinen Bock auf Pendeln, und deshalb sind wir umgezogen.«
    Wir entfernen uns von der Mall, laufen an den immer gleichen Nobelvillen, Kettenrestaurants und an dem neuen weißen Rathaus mit den zwei dürren, traurigen Palmen zu beiden Seiten vorbei und biegen in den engen Kiesweg dahinter ein.
    »Das hier ist es«, sage ich. »Mein liebster Ort in Los Cerros.« Ich beschreibe mit meinem Arm einen Bogen in Richtung Himmel.
    Es ist ein altes Kino in einer schäbigen Straße, wo niemand entlanggeht oder -fährt. Es liegt versteckt, wirkt irgendwie fehl am Platz, runtergekommen, vergessen und steht leer. Aber es ist so wirklich wie
Starbucks
oder
Safeway
. Die meisten Fenster sind mit Brettern vernagelt, und der Putz bröckelt überall ab, und an der Seitenwand kann man noch Farbreste erkennen: Gelb und Hellblau und Grün. Das Kino ist am Verfallen, aber ich liebe es.
    »Die Stadt will es abreißen«, erzähle ich.
    Die Planung läuft zwar schon seit Jahren, aber ich kann immer noch nicht glauben, dass das alte Kino bald für immer verschwunden sein wird.
    Dylan kneift die Augen zusammen und liest trotz der fehlenden Buchstaben die Aufschrift auf der Tafel, auf der früher immer die Filmtitel standen: GO DBYE & THA K YOU .
    Ich weiß nicht, was sie sieht – ein baufälliges, vermoderndes Gebäude mit hüfthohem Unkraut ringsum oder das unglaublich tolle Haus, das es mal war, bevor es vergessen wurde.
    Dylan wippt auf den Füßen auf und ab, schlürft ihren Kaffee und geht dann zu einem der kleinen Rundfenster in den vier wuchtigen Eingangstüren. Ich sehe sie reinspähen, und prompt hab ich Bauchschmerzen vor lauter Schuldgefühlen. Der einzige Mensch, mit dem ich jemals hierherkam, war Ingrid. Ich

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