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Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Titel: Ich werde immer da sein, wo du auch bist
Autoren: Nina Lacour
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Antwort.
    »Ja. Ich geh zuerst.«
    Dann klettere ich hoch.

14
    Nach dem Abendessen gehe ich sofort ins Bett und liege einfach da.
    Um acht ruft Dylan an.
    »Willst du die Hausaufgaben in Englisch?«
    »Muss wohl.«
    »Wir sollen die ersten drei Kapitel von
Frankenstein
lesen und eine Seite über den Zusammenhang zwischen Mary Shelleys Widmung für ihren Vater und der Diskussion über Erziehung im Buch schreiben.«
    »Okay.«
    »Willst du dir das aufschreiben?«
    »Eigentlich nicht.«
    Sie schweigt. Dann sagt sie: »Soll ich rüberkommen? Möchtest du reden?«
    »Ich bin bloß müde.«
    »Ich weiß, dass da mehr hintersteckt.«
    Ich betrachte das Foto von Ingrid an meiner Wand. »Entschuldige.« Ich kann kaum sprechen. Meine Stimme kommt ganz langsam und klingt erschöpft. »Bitte sei nicht sauer. Ich kann jetzt einfach nicht reden.«
    Ich ziehe mir die Decke über den Kopf. »Caitlin.« Ihre Stimme ist sanft. »Irgendwann musst du darüber reden.«
    »Ich weiß«, flüstere ich. Ich nicke, obwohl sie mich nicht sehen kann.

15
    In der Garage ist ein so schreckliches Sammelsurium von Trödel, dass man Platzangst kriegen könnte. Meine Eltern weigern sich, den alten Kram wegzuschmeißen, und als ich jetzt darin herumwühle, komme ich mir vor wie eine Tombolagewinnerin. Ich darf mir von dem alten Zeug nehmen, was ich will – den alten Globus, auf dem noch die Sowjetunion existiert, die Orientteppiche aus der Zeit, als Mom noch leidenschaftlich gern zu Auktionen ging, die zahllosen Leuchter und Nippes.
    Ich möbliere mein Baumhaus.
    Unter Kisten mit verstaubten Schallplatten entdecke ich einen Teppich mit blaugrünem Muster, umrahmt von einer hübschen bernsteinfarbenen Bordüre. Ich räume noch mehr Kisten zur Seite und finde ein paar von Dads alten Besitztümern. Ich lese zotige Bemerkungen in seinen College-Jahrbüchern und finde ein Klassenfoto aus seinem ersten Collegejahr. Die Haare hängen ihm über die Ohren, er trägt eine Lederschnur um den Hals und sieht erstaunlich cool aus. Als Nächstes finde ich ein Futterhäuschen für Vögel aus Holz und Glas. Ich halte es vor die Glühbirne an der Decke, um es mir genauer anzusehen. Wer auch immer das gemacht hat, hat Vögel ins Holz geschnitzt und die Schnäbel gelb und die Augen blau angemalt. Die Flügelspitzen sind rot. Es sind Kolibris. Ich stelle das Häuschen auf den Teppich.
    Der viele Staub erschwert das Atmen. Ich schnappe mir noch einen batteriebetriebenen Ghettoblaster und ein paar leere Flaschenkisten und flüchte an die frische Luft. Nach und nach schleppe ich meine Schätze zum Baumhaus. Zum Schluss reiße ich ein Stück Pappe von einem Karton, besorge mir einen Stift und Klebeband, schreibe wie ein kleines Gör DRAUSSEN BLEIBEN darauf und hefte die Pappe an den Baumstamm.
    Nachdem ich alles über die Leiter ins Baumhaus geschleppt habe, bin ich zu müde, um noch was zu tun. Ich rolle den Teppich auseinander und lege mich darauf. Er ist etwas verstaubt, aber das ist mir jetzt total egal. Ich liege da und schaue durch eins der Fenster über alle anderen Bäume hinweg. Von hier oben sieht es aus, als wäre ich mitten im Wald. Ich lausche dem fernen Verkehrslärm auf der Straße vor dem Haus.
     
    Später höre ich jemanden kommen. Ich befürchte, es sind meine Eltern, weil ich heute wieder nicht in die Schule gegangen bin, und bestimmt sind sie nicht begeistert. Dann ertönt Dylans Stimme. »Ist das hier dein Ernst?«
    Ich stehe nicht auf, weil ich nicht möchte, dass sie mich sieht.
    »Es ist ein Witz«, schreie ich runter.
    »Dann kann ich also raufkommen?«
    »Nein.«
    Ich warte darauf, dass sie noch was sagt, aber es herrscht Schweigen. Dann höre ich, wie sie davonstapft.
    »Warte!«, schreie ich.
    Die Schritte halten an. Ich klettere runter.
    »Lass uns woanders hingehen«, sage ich.

16
    Wir sitzen in der Nudel-Bar in unserer Lieblingsnische. Ich lege ein Geständnis ab.
    »Ich habe ihr Tagebuch.«
    Dylans Kaffeebecher befindet sich auf halbem Weg zu ihrem Mund, aber sie trinkt nicht.
    »An unserem letzten Abend muss sie es unter mein Bett geschoben haben. Ich bin mir zumindest ziemlich sicher, dass es so war.«
    Sie stellt den Becher auf den Tisch und fixiert mich mit ihrem besonderen Blick, unter dessen Erwartungsdruck ich mich sonst immer zu winden beginne. Aber diesmal starre ich einfach zurück.
    Ich wiederhole: »Ich habe ihr Tagebuch.«
    Sie schlürft.
    Behält den Schluck im Mund.
    Schluckt langsam.
    Flüstert:
»Kacke.«
    Murmelt: »Warum
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