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Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Titel: Ich werde immer da sein, wo du auch bist
Autoren: Nina Lacour
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ausgewählten Fotos ein und gehe in den Klassenraum. Ms Delani schlürft ihren Tee und liest. Ich schaue auf die Uhr. Es ist fast neun.
    »Ach herrje. Tut mir leid. Ich habe gar nicht auf die Zeit geachtet.«
    Sie sieht von ihrem Buch hoch. »Macht nichts. Hast du gefunden, was du brauchen kannst?«
    Ich schüttele den Kopf. »Noch nicht.«
    Sie klappt ihren Roman zu und trinkt den Tee aus. »Manchmal kommt die Inspiration von allein, manchmal muss man Jagd auf sie machen.«
    »Kann ich mir die ausleihen?«
    Sie nimmt die Fotos und sieht sich ein paar an.
    »Ich hol dir eine Mappe zum Transportieren.«
    Ich warte, bis sie alles abgeschlossen hat, und dann gehen wir zum Parkplatz, wünschen uns eine Gute Nacht und steigen in unsere Autos.

11
    Nachdem ich die Mahlzeit gegessen habe, die Dad für mich aufgewärmt hat, setze ich mich auf den Boden von meinem Baumhaus und lehne mich an die eine Wand, die ich bereits errichtet habe. Von hier oben kann ich die schemenhaften Umrisse der Berge erkennen und Lichter von Häusern. Ich lege mich auf den Rücken und sehe zu den Sternen hoch, setze die Kopfhörer auf und lausche einer traurigen, sehnsüchtigen Musik. Als mir langsam zu kalt wird, hole ich Ingrids Tagebuch aus meinem Rucksack und schlage es bei der nächsten Eintragung auf. Es ist sehr lange her, dass ich darin gelesen habe – in der Zwischenzeit hat es genügt, es mit mir herumzutragen. Ich knipse die Taschenlampe an und lasse die Beine über den Rand der Plattform baumeln, in den schwarzen Himmel.
    Lieber Jayson,
     
    heute war mir nach Sterben zumute. Ich bin aufgewacht und wollte die Augen nicht aufmachen. Ich versuchte, bewegungslos dazuliegen, mich zurück in den Schlaf zu zwingen. Es hat nicht geklappt.
     
    Als Caitlin anrief und fragte, ob wir zusammen abhängen wollten, war ich bissig und gemein. Ich hab ihr gesagt, ich hätte viel zu viel zu tun, legte auf und kroch zurück ins Bett, mein ganzer Körper fühlte sich müde und schwer an. Aber ich konnte nicht wieder einschlafen, deshalb hatte ich eine total beschissene Idee und rief diese Deppen an, mit denen Caitlin und ich mal unterwegs gewesen sind. Ich tat verführerisch und sagte ihnen, sie sollten mich im Park am Bach treffen. Dann sagte ich noch, sie sollten Kondome mitnehmen.
     
    Ich fühlte nichts. Mir war, als wäre ich gestorben, ich fühlte mich total tot.
     
    Sie warteten schon auf mich, als ich kam, saßen auf dem Felsen und warfen Steinchen in das Dreckwasser. Einer sah mich an und grinste breit. Ich wusste nicht, ob das nett oder nicht nett gemeint war. Der andere sah nur immer auf seine Hände. Ich kann mich echt nicht mehr an viel erinnern. Ich habe gar nicht richtig darauf geachtet.
     
    Wenn ich jemals erwachsen werde und eine Tochter habe, dann weiß ich nicht, was ich ihr sagen soll, wenn sie mich nach meinem ersten Mal fragt. Ich weiß, dass ich nicht sagen werde: Eigentlich war es mit zwei Typen gleichzeitig, die ich gar nicht richtig kannte und die nicht mal besonders nett waren, und es war auf einem Felsen in einem beschissenen Park, am Ufer eines schmutzigen Bachs. Ich sage ihr nicht, dass ich mich nicht mal ausgezogen habe, dass ich nur meine Unterwäsche in meine Tasche gestopft und mein Shirt hochgezogen habe, und ich sage ihr nicht, dass es nicht so weh getan hat, wie ich es mir gewünscht hatte. Es hat sehr weh getan, aber nicht genug, und nachdem der erste Typ gekommen war und der zweite sein Ding in mich reingestoßen hat, war es nur noch eine Art Wundschmerz. Nichts, was
ich
schmerzhaft nennen würde.
     
    Aber Jayson, ich wollte dir nur sagen, dass es mir leidtut, dass ich alles kaputtgemacht habe. Und ich weiß, falls ich dich jemals berühren kann, wird es zwar nicht so sein, wie es sein sollte, aber ich sehne mich immer noch danach.
    Wenn wir uns also in ein paar Jahren begegnen, hatte ich genug Zeit, herauszufinden, wer ich bin, und die Medikamente abzusetzen und die Therapie abzuschließen. Du wirst unser Land bei den Olympischen Spielen vertreten und so schnell rennen, dass man nur noch einen Punkt am Horizont sieht. Ich werde dabei sein und dich für die New York Times oder so fotografieren und diesen Wahnsinnsschnappschuss von dir machen, wo du über die Ziellinie rennst und alle anderen hinter dir lässt. Und in dieser Nacht werden wir in deinem Zimmer im Fünf-Sterne-Hotel Sex haben. Wir lieben uns, sagen wir dazu. Und du ziehst dich ganz nackt aus und ich auch. Und du lässt dir viel Zeit beim Küssen.
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