Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weisser
Platz »Ignace Wognin«, gerade hat er das Training mit der U14, den unter 14-Jährigen, abgepfiffen. Die Spieler hocken auf dem Rasen, neben sich Stutzen,
Schuhe und Wasserflaschen. Ammann sagt: »Ich war heute nicht zufrieden mit euch. Habt ihr eine Idee, warum?«
Schweigen. Ammann hält das aus, wartet, eine halbe Minute vielleicht, dann tröpfelt es Antworten. »Wir waren nicht konzentriert«, murmelt ein Spieler. »Ich war müde, ich konnte nicht so, wie ich wollte«, gesteht ein anderer, und aus der letzten Reihe ist leise zu hören: »Bald sind Ferien, ich habe oft an die Ferien gedacht.«
Ammann umkreist jetzt die Gruppe, die Hände auf dem Rücken, er macht schnelle, große Schritte, er hebt den Blick nicht, es sieht nach einem Donnerwetter aus. Aber Ammann räuspert sich und sagt: »Danke für eure Ehrlichkeit. Kommt beim nächsten Mal vor dem Training zu mir, unbedingt vor dem Training. Sagt, wenn ihr kaputt seid, wenn ihr eine Pause braucht. Versucht es nicht zu kaschieren. Ich sehe es doch.«
So einen milden, nachsichtigen Ton vernimmt man selten auf den Fußballplätzen Afrikas. Es wird viel gebrüllt, Sport funktioniert streng hierarchisch in Afrika. Oben spricht nicht mit Unten, Oben befiehlt und beschimpft Unten. Fußball ist ein ideales Feld, um Machtgelüste auszuleben, um Autorität zu missbrauchen, und niemand beschwert sich. Ein ordentlicher Anschiss nach Trainingsende gehört dazu, so war es immer, denn viele Übungsleiter halten Erfolg für den Lohn von Härte. Nicht von Einfühlungsvermögen.
Darin spiegelt sich auch ein zentrales Problem des afrikanischen Fußballs, es gibt zwar überragende Fußballer, doch es gibt nur wenige erstklassige Trainer. Es fehlt an qualifizierter Ausund Fortbildung, an Wissenschaft und Forschung, an internationaler
Vernetzung. Afrikanische Trainer sind oft selfmademen , gerade in den unteren Ligen. Es sind Autodidakten, deren einzige Schule es war, selbst Fußball gespielt zu haben.
Es traut ihnen auch niemand etwas im eigenen Land zu. Fast alle großen Verbände aus Schwarzafrika haben europäische Chefcoaches engagiert, die Elfenbeinküste wird vom Bosnier Vahid Halilhodz̆ić betreut, Kamerun vom Franzosen Paul Le Guen, Ghana vom Serben Milovan Rajevac und Togo vom Franzosen Hubert Velud. Einzig Nigeria glaubt an einen Einheimischen, an Shaibu Amodu, und das auch nicht so richtig. Amodu ist schon drei Mal gefeuert worden als Auswahltrainer und bekommt gerade seine vierte Chance.
Walter Ammann arbeitete in der Trainer-Ausbildung beim Schweizer Fußballverband, bevor er nach Abidjan, zu Sol Béni ging. Er nimmt sein Laptop mit zum Training, er hat eine Datenbank aufgebaut mit den Leistungswerten seiner Schüler, er schreibt Pläne und Konzepte, doch er glaubt nicht an alles, was der Computer errechnet. Ammann ist immer auf der Suche nach einem Mittelweg zwischen der kühlen wissenschaftsbasierten Trainingslehre Europas und dem Improvisationstalent Afrikas, seinem Witz, seiner Kreativität und seiner Kraft.
»Die Ivorer sind Optimisten«, sagt Ammann, »sie vertrauen darauf, dass es immer eine Lösung gibt, auch im Fußball. Sie spielen mutig, sie trauen sich etwas, und es wäre eine Sünde, ihnen das austreiben zu wollen. Große Spieler tun ja in entscheidenden Momenten das, womit niemand rechnet.«
Und so sieht das Trainingsspiel der U14 dann auch aus: Es ist eine schnelle Partie mit vielen Finten, es ist der nicht endende
Versuch, einen genialen Pass zu spielen. Jeder darf experimentieren - aber nur, um der Mannschaft zu helfen, nicht um selbst glänzen zu wollen. Das ist die feine Grenze, die Ammann in jeder Übungsstunde neu ausloten muss.
Jonglieren für den großen Traum Europa
73
52 Schüler lernen in der Akademie, aufgeteilt in zwei Altersgruppen, in die U14 und die U17. Es sind jene 52, die ausgewählt worden sind bei den mehrstufigen sélections aus Tausenden von Kandidaten. Abidjan ist ein riesiger Talentpool, die Hafenstadt am Golf von Guinea zählt mit ihren vier Millionen Einwohnern zu den größten Metropolen Afrikas. Scouts sichten Spieler in allen Vierteln der Stadt, zusätzlich gibt es offene Testtrainings, jeder Junge zwischen elf und zwölf Jahren kann mitmachen. 120 Fußballer werden zum Vorspielen nach M’Pouto eingeladen, elf dürfen schließlich bleiben. Sechs Jahre lang, bis sie reif sind für die erste Mannschaft von Asec Mimosas. Oder für Europa.
Lange hat Sol Béni von seinem Ruf profitiert, die beste Fußballschule
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