Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weisser
Jacke. Er war betrunken, ich habe es in seinen Augen gesehen, und das war meine Chance.
Ich habe ihm einen Stein auf den Kopf gehauen, er hat fürchterlich geblutet, der ganze Bürgersteig war rot.
Wir sind uns ein paar Wochen später noch mal begegnet auf der Straße. Er hat mich nicht erkannt, Gott sei Dank. Er trug einen breiten weißen Verband rund um den Kopf, er muss eine riesige Narbe haben. Aber was macht der mich auch an? Ich bin Fußballer und kein Opfer.
Alle bei uns im Block sind Fans, die meisten von Manchester United. Ich mag den FC Liverpool und ganz besonders Fernando Torres. Ich schaue die Premier League-Spiele bei meinem Kumpel Ashwin, er hat eine Satellitenschüssel und Pay-TV. Manchmal sind auch ein paar von den Jester Kids dabei. Es ist verrückt, du sitzt mit denselben Typen zusammen, denen du ein paar Stunden vorher noch ausgewichen bist auf der Straße, weil du Angst haben musst, dass sie dir auf die Fresse hauen wollen.
Ich spiele für Ikapa Academy FC, zur Zeit in der vierten Liga, wir sind abgestiegen in der vergangenen Saison. Ich bin Flügelstürmer, rechte Seite, so wie Dirk Kuyt in Liverpool, ich kann rennen wie ein Windhund und habe einen harten Schuss. 13 Tore in 30 Spielen, nicht schlecht, oder?
Ich weiß, dass ich es schaffen kann bis in die Premier Soccer League hier in Südafrika. Als ich noch bei Mother City war, einem kleinen Amateurverein, habe ich zusammen mit Terror Fanteni gespielt. Alle haben ihn Terror genannt, dabei heißt er eigentlich Thembinkosi mit Vornamen. Terror ist später zu Ajax Cape Town gegangen und
dann sogar nach Europa, zu Maccabi Haifa. Für zehn Millionen Rand, knapp eine Million Euro! Er war nicht viel besser am Ball als ich, er hat einfach nur unfassbar viel Druck gemacht, war immer in Bewegung, hat ausgeteilt, Bodychecks, kleine fiese Fouls. Terror eben.
Ich kann das nicht, in jedem Training Gas geben. Ich gehe morgens um halb sieben aus dem Haus, dann arbeite ich acht Stunden in einem Möbelhaus, Wareneingang und Warenausgang überprüfen, und das bedeutet: Kisten auspacken, wieder einpacken und alles verladen. Ich bin todmüde, wenn ich zum Training fahre, manchmal schlafe ich in der Bahn ein. Aber den Job aufzugeben - das wäre Wahnsinn, das geht nicht. Ich verdiene 615 Rand in der Woche, 57 Euro, davon lebt unsere ganze Familie: mein Vater, meine Mutter, meine Brüder Matthew, Chandler und Selwyn.
Mein Freund Terror spielt jetzt bei den Orlando Pirates in Johannesburg, erste Liga. Ich weiß, es wird schwer, aber ich würde so gern nachkommen. Endlich raus aus Manenberg, endlich weg von den Jester Kids.
NUR GETRÄUMT
Er sieht Grenzen, wo kein Zaun und kein Pfahl stehen. Er sieht Feinde, wo die Straßen leer sind. Er sieht Messer blitzen und Revolvermündungen, wo bloß ein paar Jungs auf einer Mauer hocken. Martin Africa, 32, weiß noch immer, wie Elsies River funktioniert, sein Township, in dem er aufstieg zu einem Anführer der Hard Livings und in dem er verhaftet wurde, erst wegen Sachbeschädigung, dann wegen schwerer Körperverletzung und schließlich wegen Mordversuchs.
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Martin Africa, ehemaliger Anführer der Hard Livings
Martin Africa, er heißt wirklich so, kann nicht mehr so einfach zurück nach Elsies River. Ein paar Leute hier haben zwar gehört, dass er raus sein soll bei den Hard Livings, aber für all die anderen in der Siedlung, zwölf Kilometer nördlich von Kapstadt, ist er immer noch der Alte. Ein Gangster. Ein Dealer. Ein Messerstecher. Und wahrscheinlich
würden alle lachen, die, die ihn hassen, und auch die, die ihn bewundern, wenn sie seine Geschichte hören würden: Martin ist jetzt Fußballer, er verkauft keine Drogen mehr, er klaut, prügelt und metzelt nicht mehr. Er spielt nur noch Fußball.
»Es ist aber die Wahrheit«, sagt Africa und nimmt einen tiefen Zug aus seiner Zigarette.
Er sitzt im Wohnzimmer seines Trainers Ernest Jacobs in der Melton Road, Haus Nummer 5, Elsies River. Vor einer Stunde hat Africa mit seiner Mannschaft Winchester United den Kenton FC mit 3:2 geschlagen. Africa raucht und trinkt Bier, ein paar Mitspieler sind auch da, und im Fernsehen läuft Chelsea gegen Manchester United. Africa genießt das. Jacobs’ Wohnzimmer ist einer der wenigen sicheren Orte für ihn hier. Das Zimmer hat keine Fenster, es ist ein Verschlag aus Wellblech, niemand kann ihn sehen von draußen. Am Abend wird Africa ein Taxi rufen, sich quer auf die Rückbank legen und erst wieder aufrichten, wenn sie auf
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