Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weisser
Und Jay-Jay Okocha aus Nigeria, der von Oliver König betreut wurde, verzauberte im Trikot von Eintracht Frankfurt die ganze Bundesliga mit seinen Dribblings.
Vor allem aber gab es Opfer. Und das noch Jahre nach jener magischen Sommernacht im Juli 1990. Spieler, die ihre Heimat als Helden verließen und nur Monate später wie Treibgut durch die europäischen Ligen gespült wurden, weil sie immer wieder scheiterten, selbst bei kleineren Klubs.
Um einige von ihnen kümmerte sich König gemeinsam mit Peter Schellhaas, einem Diplom-Soziologen, der hauptberuflich in der Justizvollzugsanstalt Weiterstadt mit jungen Insassen arbeitete. Sie halfen Cheriffe Maman Touré, Nationalspieler und eines der größten Talente Togos, 1998 durchgefallen beim Zweitligisten Nürnberg. Und Mike Osei, Mittelfeldspieler aus Ghana, 1997 durchgefallen beim Zweitligisten Mainz. Und Awudu Issaka, U17-Weltmeister mit Ghana, 1995 durchgefallen bei AJ Auxerre in Frankreich. Und Jacques Goumai, Togo, und Emmanuel Duah, Ghana, und, und, und.
Viele von ihnen mussten mehrere Anläufe nehmen in Europa, weil man ihnen zwar Geld, eine Wohnung und ein Auto gab, aber keine Hilfe und keine Zeit, um sich an das neue Land und seinen schnellen, rauen Fußball zu gewöhnen. König erklärte den Afrikanern Deutschland, und er erklärte den deutschen Trainern Afrika. »Ich habe damals viele Anrufe von Trainern bekommen, die sich bei mir beschwert haben: Hör mal, dein Schwarzer hat die ganze Bude
voll mit Verwandten, der soll sich mal lieber auf Fußball konzentrieren! Ich habe dann geantwortet: Wenn du willst, dass er floppt, dann reiß ihm das Herz raus und verbiete ihm den Besuch. Afrikanern ist die Familie heilig, sie leben für ihre Familie.«
Solche Gespräche muss König heute nicht mehr führen, der europäische Fußball hat gelernt, und Affenlaute hat man in Bundesligastadien auch schon lange nicht mehr gehört. Doch ein sensibles Geschäft ist die Vermittlung von afrikanischen Spielern für König geblieben, es gibt noch immer Skepsis und Vorbehalte bei einigen Klubs. Bringt der Neue aus Afrika die nötige Härte mit? Wie schnell lernt er? Wann spielt er unser Spiel? Dauert es Monate oder eine ganze Saison?
Dorge Kouemaha hat schnell gelernt. Er weiß, dass er den Ball nicht lange halten darf, er weiß, dass die Trainer schönen Fußball schätzen, aber erfolgreichen lieben. Kouemaha, vor fünf Jahren aus Kamerun fortgegangen, spielt mittlerweile sehr nüchtern, sehr effizient, sehr europäisch.
An diesem Abend aber, nach dem Spiel gegen Anderlecht, verflucht er Europa. Als König ihn im Hotel Weinebrugge trifft, trägt er eine grüne Jogginghose und ein leuchtend gelbes Trikot - sein kamerunisches Nationaltrikot. Kouemaha hat Tränen in den Augen, er will weg, am nächsten Tag fliegt er sowieso nach Kamerun, weil die belgische Liga für eine Woche pausiert. »Ich komme nie wieder«, sagt er, »vergiss es, Olli, die wollen mich hier alle nicht, ich habe keine Chance, ich hatte von Anfang an keine Chance.«
König kennt solche Szenen zur Genüge, die große Klage, wilde Verschwörungstheorien und in jedem zweiten Satz »nie wieder«. König nennt das die »afrikanische Oper«. Er weiß, dass eine Oper
viele Akte haben kann, aber er weiß auch, dass sie immer ein Ende hat, und deshalb bleibt er jetzt ganz ruhig. Nochmal Analyse, er schreibt eine Liste, links ein Plus-Zeichen, rechts ein Minus-Zeichen. Auf der Plus-Seite steht: Der Trainer hat dich geholt, du bist sein Mann. Du hast die Qualität, um dich durchzusetzen. Du machst deine Tore, wenn du Zeit bekommst. Die Fans mögen dich. Die Journalisten auch.
Unter dem Minus steht: Du spielst wenig. Du hast keine Geduld. Du suchst die Fehler bei anderen und nicht bei dir.
Sie reden lange, Punkt für Punkt auf der Liste gehen sie durch, immer wieder von vorn. Am Ende, nach fast zwei Stunden, sagt Kouemaha, dass er verstanden hat. »Ich darf mich nicht wie ein Kind benehmen, natürlich nicht.«
König weiß, dass es wieder passieren wird. Die afrikanische Oper, er hat sie schon so oft durchleben müssen mit seinen Spielern, es hört einfach nicht auf. Auch nicht, wenn eine Karriere glückt, wie die von Dorge Kouemaha: Er kam nicht mit Schleppern nach Europa, sondern mit dem Flugzeug und gültigen Papieren. Er hatte einen Agenten in Kamerun, der ihn nicht über den Tisch zog, sondern fair behandelte. Er musste sich nicht hochdienen auf dem fremden Kontinent, sondern spielte gleich in der ersten Liga,
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