Ich werde schweigen Kommissar Morry
Düstere Torbögen und dunkle Mauerwinkel gerieten in das Licht des Scheinwerfers. Vor den berüchtigten Kneipen lungerten billige Mädchen mit ihren Schleppern herum. Von allen Seiten her streckte die Sünde ihre schmierigen Arme aus.
„Wohin fahren wir eigentlich, Sir?“, unterbrach Hilfsinspektor Puck das lange Schweigen.
„Zu Mack Towarin.“
„Wer ist das, Sir?“
„Ein Spitzel, der seit langem für uns arbeitet. Er ist verdammt tüchtig und hat schon viel Geld vom Yard kassiert. Nebenbei betreibt er eine Schusterwerkstätte. “
„Kann er sonst noch etwas?“, lächelte Puck belustigt.
„Hm. Er macht jede Handschrift nach. Diese Fälligkeit wird uns vielleicht einen Schritt weiterhelfen.“
Sie stellten den Wagen hinter dem Canal Dock ab und gingen zu Fuß in die Salmon Lane hinein. In der Mitte der Straße bogen sie nach links ab. Eine schlauchförmige Sackgasse tat sich vor ihnen auf. Verwahrloste Häuser standen zu beiden Seiten. Aus muffigen Kellerlöchern stiegen penetrante Gerüche auf. Zur Linken baumelte das rostige Schild einer Schusterwerkstätte. Durch die trüben Scheiben fiel rötliches Licht. Man hörte dumpfes Hämmern und Klopfen heraus.
„Kommen Sie!“, sagte Morry rasch. „Schlagen Sie sich den Mantelkragen hoch. Es ist besser, wenn uns niemand sieht.“
Als sie in die Werkstatt traten, hörte das Hämmern ruckartig auf. Mack Towarin rutschte geschmeidig von seinem Dreifuß herunter. In einer devoten Verbeugung krümmte er den Rücken. Sein faltiges Gesicht wirkte verschlagen und listenreich. Die kleinen Rattenaugen liefen unablässig hin und her.
„Was steht zu Diensten, Kommissar?“, lispelte er. „Habe Sie lange nicht mehr gesehen. Dachte schon, Sie wollten nichts mehr mit dem alten Mack zu tun haben.“
Kommissar Morry blickte sich betreten in der ärmlichen Klause um. Er fühlte sich immer etwas unbehaglich, wenn er mit Spitzeln vom Schlage Mack Towarins zu tun hatte. Im Grund genommen verachtete er diese Verräter. Hätte man sie nicht so dringend gebraucht, so wäre er ihnen gern aus dem Weg gegangen.
Mack Towarin machte eben zwei Stühle frei und räumte das alte Gerümpel beiseite.
„Setzen Sie sich doch“, hüstelte er. „Reden Sie! Was kann ich für Sie tun?“
Kommissar Morry starrte auf den rissigen Boden nieder.
„Was machen unsere Freunde Rex Chapel und Ernest Cropp? Arbeiten sie noch immer mit Ben Hopkins zusammen? Und wo kann man sie treffen?“
Mack Towarin rieb sich kichernd die dürren Hände aneinander. „Gehen Sie in den Mitternachtssaloon der Witwe Pattison“, raunte er mit faunischem Grinsen. „Dort können Sie das vierblätterige Kleeblatt bestimmt antreffen.“
„Was machen sie jetzt? Diebstähle? Hehlergeschäfte? Oder Einbrüche??“
Mack Towarin legte den Kopf schief. „Weiß nicht, Sir! Müßte erst herumfragen. Kommen Sie morgen abend wieder. Dann kann ich Ihnen Bescheid sagen.“
„Kennen Sie einen gewissen Richard Donally?“, forschte Morry weiter.
„Ein guter Spitzel muß alles wissen“, meckerte Mack Towarin.
„Der Mann wohnt am Holland Park in Kensing- ton, nicht wahr? Sein Stiefbruder ist still und heimlich verduftet. Habe ich recht, Sir?“
Morry nickte geistesabwesend. Kurz nachher griff er in die Brusttasche und brachte ein paar Schriftstücke zum Vorschein. „Diese Papiere“, erklärte er, „haben wir in der Wohnung Irving Bacons gefunden. Er hat sie selbst geschrieben. Sehen Sie sich die Handschrift an. Können Sie das Gekritzel nachmachen?“
Mack Towarin nahm schweigsam einen Bleistift zur Hand und malte eine Reihe Buchstaben auf Papier. Dann schrieb er einige Zeilen von den Schriftstücken ab.
„Stimmt es so?“, fragte er lispelnd.
„Tadellos!“, lobte Morry. „Paßt ausgezeichnet. Nun nehmen Sie diesen kleinen Zettel, Mr. Towarin. Schreiben Sie: Komm heute Abend zu meinem Versteck. Es ist dringend. Irving.“
Mack Towarin machte sich an die Arbeit. Er brauchte nicht lange. Mit verschlagenem Grinsen drückte er Morry den Zettel in die Hand.
„Stimmts so, Sir?“
Morry verglich das Gekritzel mit der Originalschrift Irving Bacons. Er fand keinen Unterschied. „Wir werden sagte er halblaut, „den Zettel nachher durch einen kleinen Gassenjungen zu Richard Donally befördern. Er fällt sicher darauf herein. Er wird sich binnen kürzester Zeit auf den Weg machen. Sie, Mr. Towarin, werden vor seinem Haus auf der Lauer liegen. Er kennt Sie nicht. Folglich hat er auch kein Mißtrauen gegen
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