Ich will dir glauben
kommst, wann sie dich feiern können.«
Ein Fest mit Feuerwerk, mit Grappa-Kaffee aus der hölzernen Grolla , der für das Aostatal typischen Freundschaftstasse. Mit einem Schnapsglas Genepì, Polenta und Meringuekuchen.
»Sie haben eine Straße nach Don Paolo benannt. Auf eigene Initiative hin, der Bürgermeister allen voran. Via Don Paolo, so heißt sie jetzt.«
Während er spricht, fällt mir auf, dass er von Tag zu Tag kleiner wird. Kleiner und dünner. Und schweigsamer. Sein Blick schweift ab. Er liebt mich wirklich wie eine eigene Tochter. Er hat mich genauso ausgesucht, erwartet, gewollt wie meine Mutter. Darin unterscheiden sich die beiden nicht. Heute ist er hier, um seine Kleidung zu wechseln, einige Einkäufe zu erledigen. Seine Pflichtansprache als Vater zu halten.
»Wann hat das alles endlich ein Ende, Maria Dolores?«
»In einigen Monaten. Und ich weiß nicht, wie alles ausgehen wird. Ich weiß nicht, was ich sagen werde. Papa, vielen Dank, dass ich hier in deiner Wohnung sein kann und du so lange dort im Ayas-Tal wohnst.«
»Du musst dich nicht bedanken. Du bist doch meine Tochter. Ich würde alles für dich tun.«
»Auch lügen?«
»Ist das jetzt eine Aufforderung?«
»Nein, ich meinte nur so prinzipiell. Ich weiß, dass du es für mich tun würdest.«
»Hast du das Gefühl, du siehst die Dinge jetzt ein wenig klarer?«
»In manchen Momenten, ja. Manchmal sogar so klar, dass alles fast unsichtbar wird. Und dann wieder auch nicht. Hast du eigentlich die Wundmale an meinem Hals gesehen?«
»Natürlich habe ich sie gesehen.«
»Stand ich unter Schock? Habe ich niemanden mehr erkannt, nicht begriffen, wo ich war? In welchem Zustand war ich? Erinnerst du dich noch?«
»Du wirktest erschrocken. In deinen Augen stand Angst. Du konntest dich an nichts erinnern. Stundenlang hast du dich nicht bewegt und wolltest nicht mehr aufhören zu weinen. Du warst außer dir. Das warst nicht du selbst.«
Er bleibt auf Distanz, als er spricht. Aber ich spüre, dass es ihm nahegeht, dass er voller Schmerz ist.
»Maria Dolores, versuch da rauszukommen. Dann sehen wir weiter. Wir kennen fähige Leute. Sie werden dir helfen, du wirst sehen.«
Eine Frage der Psyche. Etwas ist nicht ganz normal. Es wäre einfacher, alles auf ein psychisches Problem zu schieben. Aber niemand hat für mich ein psychiatrisches Gutachten angefordert. Ich war und bin absolut im Besitz meiner geistigen Kräfte. Wie viele meiner Generation hatte ich, von außen betrachtet, bisher ein glückliches Leben.
Liste:
Pluspunkte.
Aufgewachsen in einer ruhigen Umgebung.
Die besten Schulen besucht.
Reisen in Italien und ins Ausland.
Ich kann Klavier spielen.
Ich laufe Ski, spiele Tennis, kann segeln und reiten.
Minuspunkte.
Allein. Single. Unfähig, eine dauerhafte Beziehung einzugehen.
Berufsverbot als Psychologin aufgrund meines Hochmuts.
Mord, ohne Vorsatz.
Tendenz zur Anorexie, allerdings unter Kontrolle.
Suspendiert als Hauptkommissarin.
Emotional instabil.
Durcheinander.
Abgestumpft vor Langeweile.
Schlafstörungen.
Ich muss mich retten, sagt mein Vater. Aber vor was? Könnte ich jetzt, wo ich weiß, was töten bedeutet, vielleicht anders leben?
44
Funi wollte Maria Dolores’ Bemerkung nicht mehr aus dem Kopf gehen, und so beschließt er, bei der Entfernung der Kreuze in San Siro anwesend zu sein.
»Bestes Brennholz. Wir machen ein paar Untersuchungen im Labor und dann ab damit auf den Schuttplatz«, versucht er, das Gespräch mit dem Hausherrn in Gang zu bringen. Er wirkt sehr elegant, wie er da mit seiner hellgrauen Kaschmirweste neben Funi steht, in der tadellosen Haltung all jener, die ihr Leben lang in einer glänzenden Scheinwelt wertvoller Objekte und erlesener Gedanken verbracht haben.
»Dennoch, so ein Kreuz hat einen starken symbolischen Charakter«, wendet der Mann ein und verfolgt mit seinem Blick das Prozedere um die drei Kreuze, die jeden Moment in die falsche Richtung zu kippen drohen, auf die Sträucher oder die Rosen. Dann wird er plötzlich von etwas abgelenkt und meint nachdenklich: »Sehen Sie mal, wie merkwürdig das aussieht, wenn der Schatten auf die Hauswand fällt.« Er zeigt auf die weiße Fassade, auf der sich die Silhouette des größten der drei Kreuze abzeichnet, während es versetzt wird. Funi schießt mit seinem Handy ein Foto davon und nickt. Dann kann er sich nicht mehr länger zurückhalten: »An was ist Ihre Tochter eigentlich gestorben?«
Wäre Maria Dolores dabei gewesen, hätte
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