Ich will doch nur küssen
verschob. »Mom, Caroline hat mir erzählt, dass sie versucht hat, dich zu kontaktieren. Sie sagt, du verschanzt dich in deinem Haus.«
»Pst.« Lanie deutete auf Tess. »Die Kleine hört mit«, zischte sie.
»Ich bin nicht klein, und außerdem kenne ich hier niemanden, dem ich brühwarm irgendeinen Schei…« Tess klappte erschrocken den Mund zu und warf Faith einen entschuldigenden Blick zu. »Ich meine, ich kenne niemanden in der Stadt, dem ich irgendetwas erzählen könnte. Ihr könnt euch in meiner Gegenwart ruhig ungestört unterhalten.«
Faith lachte. Offensichtlich hatte Tess nur für alle Fälle die Lautstärke zurückgedreht.
»Ja, du musst wegen Tess kein Blatt vor den Mund nehmen. Jeder in dieser Kleinstadt weiß, was Dad getan hat. Genau wie du seit seinem Geständnis«, stimmte Faith ihr zu. »Es ist keine Schande, von vorne anzufangen, Mom.«
Lanie hatte Faith den Rücken zugekehrt.
»Und es gibt keinen Grund dafür, dass du dich von der einzigen Bewohnerin von Serendipity abwendest, die dir eine wahre Freundin war, oder zumindest versucht hat, dir eine zu sein«, sagte Faith.
Genauso wenig wie es einen Grund gab, der eigenen Tochter die kalte Schulter zu zeigen. Aber das war eine Unterhaltung, die Faith nun wirklich nicht vor Tess führen wollte. Wenn sie sie überhaupt jemals führen wollte. Es war zu schmerzhaft, dass ihre Mutter sie jahrlang mit Verachtung gestraft hatte, nur weil es ihr gegen den Strich gegangen war, dass ihr Ehemann seiner Tochter Aufmerksamkeit geschenkt hatte.
Faith hatte Tess erzählt, Lanie wäre egoistisch. Narzisstisch beschrieb die Persönlichkeit ihrer Mutter wahrscheinlich besser.
»Wusstest du, dass Carolines Mann seine Arbeit verloren hat?«, fragte ihre Mutter schließlich mit einem übertriebenen Schaudern und sank auf einen Stuhl. »Sie haben zwar immer noch das Geld ihrer Familie, aber stell dir mal vor, wie erniedrigend das ist!«
»Und inwiefern hat diese Tatsache einen Einfluss auf dich oder eure Freundschaft?«, fragte Faith. »Schließlich hat dein Mann viele Leute um Millionen betrogen. Caroline könnte jetzt wahrscheinlich eine Freundin brauchen, die nachvollziehen kann, wie es ist, Probleme zu haben – und ich schätze, dir würde es auch nicht schaden«, stellte Faith fest.
»Ich brauche niemanden!«, rief Lanie mit schriller Stimme.
»Tja, dein Pech.« Faith drehte sich zu Tess um, die erneut die Augen weit aufgerissen hatte. »Komm mit, Tess. Zeit für unsere Shoppingtour.«
Dann blickte sie noch einmal zu ihrer Mutter, in der Hoffnung, ihr irgendeine wie auch immer geartete Gefühlsregung anzumerken, sei es nun Wut, Frust oder Trauer. Irgendetwas.
Doch Lanies Gesicht wirkte erstarrt wie eine Maske.
Nun, für heute hatte sie ihr wohl genügend Denkanstöße geliefert. Blieb nur zu hoffen, dass sie ihr auch gut zugehört hatte.
»Ich finde allein hinaus«, sagte Lanie kühl. Sie erhob sich und marschierte ohne ein weiteres Wort zur Tür hinaus.
»Brrr«, sagte Tess. »Ganz schön frostig!«
»Ja. Mit so etwas bin ich groß geworden.« Faith ließ sich erschöpft in den Sessel fallen, in dem eben noch ihre Mutter gesessen hatte.
Erst jetzt fiel ihr auf, dass ihr Schreibtisch bedeutend ordentlicher aussah. Ihre Mutter musste ihn wohl aufgeräumt haben. Faith sah sich um und bemerkte auch im übrigen Laden einige Veränderungen zum Positiven. Lanie wäre also durchaus in der Lage, etwas Sinnvolles mit ihrer Zeit anzufangen, statt nur herumzusitzen und über andere zu urteilen. Schade nur, dass sie das nicht wollte.
Faith verbrachte den ganzen Tag mit Tess, die sich zur Abwechslung ausgesprochen wohlerzogen benahm. Es kam Faith so vor, als würde sie endlich einen Blick auf ihr wahres Wesen erhaschen. Sie fragte sich, ob ihr Leben wohl einen anderen Verlauf genommen hätte, wenn sie kein einsames Einzelkind gewesen wäre, sondern eine Schwester gehabt hätte, mit der sie ihre Gedanken und Gefühle hätte teilen können. Jedenfalls bereitete es ihr großen Spaß, Tess für den Sommer und den bevorstehenden Herbst völlig neu einzukleiden, zumal sie sicher sein konnte, dass ihr Ethan dafür dankbar sein würde.
Danach gab es zu Hause noch einen Crashkurs in Sachen Kriegsbemalung. Faith hatte Tess mithilfe ihrer eigenen Schminkutensilien beigebracht, Lidschatten und Eyeliner etwas dezenter einzusetzen, und ihr versprochen, ihr demnächst auch ein neues Make-up-Set zu besorgen.
Nach einem köstlichen, von Rosalita zubereiteten Essen saßen
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