Ich will doch nur küssen
aber sie ist auch ehrlich und klug, und ich respektiere Frauen, die sagen, was sie denken. Wenn sie erst einmal einen Martini intus hatte, war sie eine ausgezeichnete Zuhörerin. Aber inzwischen hat sie sich völlig in ihr Haus am Stadtrand zurückgezogen und will auch mit echten Freundinnen wie mir nichts mehr zu schaffen haben.«
»Dann hat sie also gar niemanden mehr?«, fragte Faith überrascht. Sie fühlte sich schuldig.
Sie war auf ihre Mutter zugegangen, aber eher aus Pflichtgefühl, wie sie nun zugeben musste. Ab und zu ein Anruf, ein oberflächliches Gespräch, um behaupten zu können, sie hätte es versucht.
»Nein, aber sie hat es selbst so gewollt«, sagte Caroline. »Mach dir deswegen keine Vorwürfe.«
Doch genau das tat Faith, und mit gutem Grund. Sie war erwachsen, aber sie betrachtete ihre Mutter immer noch mit den Augen eines Kindes. Sie hätte genauer hinsehen und sich bemühen müssen, am Leben ihrer Mutter teilzuhaben. Sie hätte erkennen müssen, was wirklich los war.
»Danke für deine Aufrichtigkeit«, sagte Faith. »Ich weiß, dass meine Mutter nun mal so ist, wie sie ist, und ich werde mich intensiver darum bemühen, ihr näherzukommen.«
Caroline ließ die Finger über ihre dicke Perlenkette gleiten. »Erwarte dir nur nicht zu viel, damit du nicht enttäuscht wirst. Ich rufe sie noch immer einmal die Woche an, aber sie würgt mich oft ab, und sie meldet sich prinzipiell nicht bei mir.«
»Das tut mir leid.« Faith wusste nicht, was sie sonst hätte sagen sollen.
»Oh nein. Du solltest dich nicht für das Verhalten eines anderen Menschen entschuldigen. Sie ist deine Mutter, aber du bist nicht für sie verantwortlich. Du machst dir gar keine Vorstellung davon, wie sehr ich dich bewundere. Wenn ich eine Tochter hätte, würde ich mir wünschen, dass sie so stark ist wie du«, sagte Caroline mit sanfter Stimme, und Faith wurde ganz warm ums Herz. Ihre Mutter hatte ihr gegenüber sicher nie so empfunden, aber Faith erkannte, dass sie sich an Caroline ein Beispiel nehmen konnte. Sie musste Lanie so akzeptieren, wie sie war, statt sich darüber zu ärgern, dass sie nicht so sein konnte, wie Faith es gerne gehabt hätte.
»So etwas Nettes hat noch nie jemand zu mir gesagt«, sagte Faith zu Caroline.
»Ich bin sicher, dass du dir seit deiner Rückkehr schon alle möglichen Gemeinheiten anhören musstest. In unseren Kreisen weiß keiner, wie man jemanden unterstützt, dem es schlecht geht.«
»Danke, dass du das sagst.«
Caroline straffte die Schultern. »Also dann, zurück zum Geschäftlichen. Wann könntest du vorbeikommen und dir mein Wohnzimmer ansehen? Ich habe da ein paar Ideen, die ich gerne mit dir besprechen würde.«
Faith war dankbar für den Themawechsel und ging zum Schreibtisch, um ihren Terminkalender zu holen. Sie einigten sich auf ein Datum und einen Zeitpunkt, dann ging Caroline ihres Wegs.
Faith dachte über das Gespräch mit der älteren Frau nach. Lanie war das einzige Familienmitglied, das ihr noch geblieben war. Sie hatte Ethans Kampf um seine Familie aus erster Hand miterlebt, ihre eigenen familiären Probleme jedoch ignoriert. Was sie und ihre Mutter anging, so hatten sie inzwischen die Rollen getauscht: Faith war die Erwachsene, Lanie das Kind. Wenn überhaupt eine von ihnen den ersten Schritt in Richtung einer Annäherung machen würde, dann Faith.
Aber im Moment war sie mit etwas ganz anderem beschäftigt. Es gab Grund zu feiern, denn sie hatte eine neue Kundin.
»Ja!« Faith legte den Kopf in den Nacken, wirbelte auf dem Drehstuhl herum und genoss das Gefühl des Triumphes, das ihr das Blut zu Kopf steigen ließ. Sie wusste, was dieser Auftrag bedeutete: Wenn sie diesen Job zu Carolines Zufriedenheit erledigte, dann würden ihr Carolines Empfehlungen viele weitere Türen öffnen.
Faith hatte Unabhängigkeit angestrebt, und jetzt war sie auf dem besten Weg dorthin.
* * *
Für Ethan drehte sich in den Wochen, nachdem er mit Faith geschlafen hatte, alles um Tess. Er stellte sowohl die Arbeit als auch sein Privatleben hintan, um dem Mädchen einen Platz in seinem Leben einzuräumen und dafür zu sorgen, dass sich eine Art tägliche Routine bei ihnen einstellte. Er telefonierte alle Namen auf der Liste durch, die Kate ihm gegeben hatte, bis er eine Therapeutin gefunden hatte, von der er das Gefühl hatte, dass sie eine gute Wahl für Tess war. Ethan traf sich zunächst allein mit ihr, um zu überprüfen, ob sich sein erster telefonischer Eindruck bestätigen
Weitere Kostenlose Bücher