Ich will doch nur normal sein!
geblieben zu sein. Er hat nichts gemerkt und nie etwas erfahren von mir und meiner beschissenen Vergangenheit, nie mitbekommen, was für Eine ich wirklich bin. Für ihn wollte ich in Ordnung sein, ohne Scham, Ekel und Dreck. Er hat es mir abgenommen und ich konnte 8 Jahre lang leben und so tun, als hätte es die Zeit vor ihm nie gegeben. Konnte so tun, als wäre nie etwas passiert und ich ein anständiges Mädchen. War das nun Lüge?
Ich wusste nicht, was Liebe ist, ich wusste aber, jetzt kann keiner mehr an mich ran von den Anderen. Dafür war ich dankbar und ich war dankbar für das Leben, das ich jetzt führen durfte. Alles hatte ich so verdrängt, als wäre es nie passiert. Meine Vergangenheit existierte für mich gar nicht mehr, es war alles so total weg, dass ich sogar dachte, ich kann meinen Vater und meine Stiefmutter besuchen. Ich hatte mein Studium beendet und war stolz darüber. Ich war auch stolz, auf Arbeit anerkannt und beliebt zu sein, eben so wie jeder Andere. Ich fuhr also zu meinem Vater mit dem Roller und dachte, er muss nun auch anerkennen, dass ich es zu etwas gebracht habe und nicht der letzte Dreck bin, wie er immer gesagt hat. Ich wollte es endlich von ihm hören, dass ich es auch ohne seine Hilfe zu etwas gebracht habe. Allein.
Ich fuhr allein hin. Bis heute kapiere ich nicht, wieso ich das tun konnte, was wollte ich dort? Wo mein Vater ist, habe ich nichts zu suchen, nicht die Anerkennung zu suchen, die er mir mein ganzes Leben lang aberkannt hat und nicht die Vaterliebe und den Vaterstolz. Ich war blöd – saublöd, dorthin zu fahren. Er hat sich doch nicht geändert, nur weil ich mir das so sehr wünschte. Er ist immer noch derselbe fiese Vater wie früher und ich in meiner Dummheit denke, es hätte sich etwas geändert. Ich war noch nicht richtig in der Stube, da merkte ich, dass meine Stiefmutter gar nicht im Haus ist. Doch da bin ich nicht auf die Idee gekommen, sofort wieder raus und weg. Nein, ich stand in der Stube und schon fing er an mich runterzuputzen, wie schlecht ich bin und wie undankbar, genau eben so, wie meine Mutter und dabei stand er auf und schob mich in die Schlafstube. Ich sagte kein Wort, ließ mich in diesen verdammten Raum schieben und wusste genau, was kommen würde. Verflucht, ich war jetzt 23 Jahre alt und bewegte mich wie eine Marionette, an deren Fäden man nur zu ziehen braucht und sie bewegt sich so, wie der der an den Fäden zieht, es will. Es geschah, einfach so, ohne Worte. Er war fertig, ging in die Stube, ohne Worte. Ich zog mich an und schlich mich aus dem Haus wie ein Verbrecher. Wäre ich nicht hingefahren, wäre es nicht wieder passiert. Ich fahre hin und bin erwachsen, nicht mehr von ihm abhängig, hätte mich wehren, ihn verfluchen können. Kein Ton – nicht gewehrt – alles passieren lassen. Mit 23 Jahren!
Wer kann das akzeptieren? Jeder sagt doch da, die spinnt, die ist blöd, die wollte es doch nicht anders. Warum ist die nicht dort weggeblieben. Ja, das alles sagte ich mir selbst und schämte mich – ich wusste nun – ICH BIN SELBER SCHULD! Ich war doch stark genug mich zu wehren. Ich war alt genug, da gar nicht hinzufahren.
Ja, mein Vater tat es, stand dann auf, ließ mich liegen, genauso, wie man ein Stück Dreck liegen lässt und ging in die Stube weiter fernsehen. So, als wäre gar nichts passiert, als wäre ich gar nicht da. Zwar versuche ich mir zu sagen, ich konnte es doch nicht vorher wissen, dass sie nicht da ist und dass es wieder passieren wird. Doch! Ich hätte es wissen müssen, dass ich dort nichts zu suchen habe – nie wieder. Ich bin selber schuld, dass er diese Chance noch einmal bekam, mich so zu behandeln. Ja, ich verließ das Haus, als hätte ich es beschmutzt, nicht mein Vater mich. Während der Heimfahrt heulte ich, konnte ich heulen, es sah niemand. Ich sah kaum die Straße und weiß nicht, wie ich heimgekommen bin.
Als ich heimkam, war Jürgen da und ich war wieder soweit okay, dass er mir nichts, aber auch rein gar nichts anmerken konnte. Ich war wieder in Ordnung. Es war, als wäre nichts passiert. Ich verhielt mich jedenfalls so und sagte nichts, war wieder einmal stumm und habe nun wieder eine Rolle gespielt. Die Rolle: „Das Leben ist schön – mir geht es gut.“
Verzeihen konnte ich mir nie, dass das passiert ist, aber es wird keiner erfahren, es bleibt in mir und ich weiß, ich war selber Schuld. Was musste ich denn hinfahren? Bis heute verstehe ich nicht, wie ich nicht daran denken konnte, was
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