Ich Will Ihren Mann
schenke. Angewidert faltete Lilian die Zeitung zusammen und warf sie auf das niedrige Tischchen vor sich. Ihr war heute nicht nach Kleinanzeigen zumute. Heiratsannoncen interessierten sie erst recht nicht. Ihr Mann schlief mit einer anderen Frau. Sie war wach gewesen, als er sich letzte Nacht neben sie legte. Sie hatte sich nur schlafend gestellt, doch er hatte es nicht gemerkt, hatte aber auch nicht versucht, sie zu wecken oder sich an sie zu kuscheln und seinen Körper an ihrem zu wärmen. Sie hörte, wie er sich ruhelos von einer Seite auf die andere warf und versuchte, eine bequeme Lage zu finden. Nach ein paar Minuten gelang es ihm, und er versank in tiefen Schlaf. Sie hörte, wie sein Atem ruhigund gleichmäßig wurde. Sie setzte sich auf und blinzelte nach dem Wecker. Es war fast ein Uhr. Vor nicht mehr als zehn Minuten hatte sie gehört, wie er die Wohnungstür aufschloß. Er war gleich ins Schlafzimmer gekommen, hatte sich eilig ausgezogen und ins Bett gelegt. Und doch roch er so sauber, oder vielleicht nach gar nichts, daß sie mit Sicherheit wußte, er hatte sich große Mühe gegeben, irgendeinen verdächtigen Körpergeruch loszuwerden. Zum Beispiel den einer anderen Frau, dachte sie. Als sie aufs Kissen zurücksank, da erinnerte sie sich plötzlich, daß ihr dieser undefinierbare, hygienische Duft vor einigen Wochen schon einmal an ihm aufgefallen war; damals, in der Nacht, als er sie aus seinem Büro angerufen und so liebevoll gebeten hatte, sie möge ihn abholen. Und auf einmal war ihr alles klar: ihre Nervosität am nächsten Morgen, ihr Herumgerenne und die krampfhaften Bemühungen, ihm eine Freude zu machen. Jetzt wußte sie, daß sie versucht hatte, den Geruch seines Betrugs mit dem Duft von Rührei und Toast zu vertreiben und die Gewißheit, daß er mit Nicole geschlafen hatte, von ihrem Bewußtsein fernzuhalten.
Die letzten paar Wochen waren also eine einzige Kette von Lügen gewesen. Gestern im Büro hatten die beiden ihr eine einstudierte Komödie vorgespielt (»Müssen Sie was Dringendes mit mir besprechen, oder hat's Zeit bis morgen? Das heißt, falls Sie noch im Büro sind, wenn ich zurückkomme, könnten wir auch heut' abend ...« - »Nein, ich geh' heim. Ich bin müde, und das hier kann warten.«) Alles war genau geplant und verabredet. Er machte die gleiche Art von Überstunden wie früher in seiner Ehe mit Elaine. Die angebliche Arbeit ist dieselbe geblieben, bloß die Partner haben gewechselt, dachte sie träge und wunderte sich, daß die Entdeckung sie so wenig überraschte. Sie gähnte, stand auf und ging zum Telefon am anderen Ende des Raums. Langsam wählte sie die Nummer und wartete. Beim dritten Klingeln meldete sich jemand.
»Hallo?«
»Mutter, bist du's?« »Lilli? Was ist los?«
Sie lächelte. »Aber hör mal, Mutter, du willst mir doch nicht erzählen, daß du mir an der Stimme anmerkst, ob was nicht in Ordnung ist.«
»Aber sicher. Eine Mutter spürt so was. Sag mal, von wo rufst du an?«
»Vom Institut. Ich bin im Aufenthaltsraum.« »Jetzt weiß ich, daß was nicht stimmt. Du rufst mich doch nie während der Arbeit an. Also was ist los? Ist was mit David?«
Lilian seufzte. »Vielleicht sagst du's mir.« »Unsinn, nun erzähl schon. Was ist denn passiert, mein Kind?«
Lilian blickte sich um und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. »Ich bin bloß 'n bißchen deprimiert, Mutter, das ist alles. Ich weiß selbst nicht, warum.« »Möchtest du darüber sprechen?« »Ich weiß nicht recht.«
»Warum kommst du nicht heut' abend zum Essen vorbei? Dein Vater geht in den Klub zum Kartenspielen, und ich bin allein. Ich würde mich freuen, wenn du mir Gesellschaft leistest. David arbeitet doch zur Zeit abends immer recht lange, nicht?« »Ja«, flüsterte Lilian.
»Dacht' ich mir's doch. Dann kommst du also?« »Um wieviel Uhr?« »Wie wär's mit halb sieben?« »Prima.«
»Also bis später, Liebes.« »Danke.«
»Tschüs, mein Herz.«
Lilian legte auf und überlegte, was sie ihrer Mutter eigentlich erzählen wollte. Soll ich ihr sagen, daß sie die ganze Zeit recht gehabt hat? Daß David, dem es nichts ausmachte, seine erste Frau zu betrügen, jetzt auch keine Skrupel hat, seine zweite zu hintergehen? Daß alles genauso gekommen ist, wie sie's mir schon vor Jahren prophezeit hat? O Gott, sind die Männer denn wirklich so? Handeln sie alle nach irgend'ner höheren Gesetzmäßigkeit, so wie der aus der Zeitung, der behauptet, Christus hätte ihm befohlen, seine Familie
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