Ich Will Ihren Mann
keine Kamera, die ihr die nötige Distanz verschafft hätte. Sie war ganz allein - mit ihrer Angst. Sie konnte sich selbst nicht recht erklären warum, aber etwas in ihr sträubte sich einfach dagegen, das Haus zu betreten. Instinktiv spürte sie, daß sich dort drinnen Geheimnisse verbargen, von denen sie nichts wissen wollte, und daß ihr ganzes Leben sich ändern würde, sobald sich diese schwere Eichentür öffnete.
»Ach, sei doch nicht so theatralisch«, befahl sie sich selbst mit lauter Stimme, ließ den Delphin los und lauschte dem wohltönenden Klang, mit dem er gegen die bronzene Platte schlug.
Die Tür öffnete sich sofort, so als ob drinnen jemand von ihrer Ankunft gewußt hätte und geduldig abwartete, bis sie sich entschloß zu klopfen. Lilians Herz schlug wie rasend. Reiß dich zusammen, befahl sie sich, als sie das junge Mädchen im Eingang erkannte. Lisa Weatherby schenkte der Besucherin ein mattes Lächeln. Sie wirkt viel jünger als dreiundzwanzig, stellte Lilian fest. Ja, sie sieht sogar jünger aus als ihr siebzehnjähriger Bruder. Sie hat geweint. Ihre braunen Augen waren immer noch tränenverschleiert, die Lider geschwollen. Sie hatte eine verblüffende Ähnlichkeit mit ihrem Vater. Lilian versuchte sich Lisas Brüder vorzustellen, die ihr auf der Beerdigung flüchtig begegnet waren. Die beiden schlugen ganz eindeutig ihrer Mutter nach.
»Ist Ihnen nicht gut?« fragte Lilian und nahm das Mädchen spontan in die Arme.
»Ich weiß selbst nicht, was mit mir los ist«, antwortete Lisa. Als sie in Tränen ausbrach, zog Lilian sie rasch ins Haus und schloß die Tür. Die Diele sah genauso aus wie an jenem Abend vor wenigen Monaten. Was hab' ich denn erwartet? Blutbespritzte Wände? Den Namen des Opfers mit seinem eigenen Blut zwischen zotige Graffiti geschmiert?
»Sind Ihre Brüder zu Hause?« fragte Lilian. »Brian hat sich hingelegt«, sagte das Mädchen leise. »Und Michael ist wieder zu seinen Leuten gegangen.« »Und Ihre Mutter?« Lilian überlegte, ob Lisa wohl spürte, wie widerwillig sie diese letzte Frage stellte. »Sie ist in ihrem Zimmer. Kann ich Sie einen Moment sprechen?«
»Aber natürlich«, antwortete Lilian. »Deshalb bin ich doch gekommen.«
Sie ließ sich von dem Mädchen in das geräumige Wohnzimmer führen. Auch hier war alles unverändert. Nach wie vor strahlte der Raum Wärme, Beständigkeit, ja sogar Liebe aus.
Sie bewegten sich wie siamesische Zwillinge, die an der Hüfte zusammengewachsen sind, auf das Sofa zu. Langsam und vorsichtig ließen sie sich eng beieinander nieder. Lilian schob ihren Arm in den des Mädchens. »Die Leute hier glauben, daß es in Los Angeles bloß Verrückte gibt«, platzte Lisa ohne jede Einleitung heraus. Sie schniefte und fuhr fort: »Es gibt da 'ne Geschichte, in der heißt es, als Gott die Welt erschuf, da kippte er sie so auf die Seite, daß sämtliche Irren nach Los Angeles rutschten.« Sie versuchte zu lachen, doch es gelang ihr nicht. »Und der Witz an der Sache ist, es stimmt. Sie sind wirklich meschugge. Ich hab' da keinen einzigen normalen Menschen kennengelernt. Man kann niemandem trauen, denn die Lügen gehen ihnen so leicht von den Lippen wie unsereinem die Wahrheit. Geld und Erfolg, das ist alles, was sie interessiert. Was draußen in der Welt passiert, kümmert sie nicht die Bohne. Sie sitzen in ihren protzigen Villen mit Swimming-pool, fahren sündteure, ausländische Wagen, sie ertrinken im Luxus, aber sie sind nicht glücklich, denn sie müssen dauernd krampfhaft überlegen, wem sie welche Lüge aufgetischt haben. Sie wissen nicht mal mehr, was Lüge und was Wahrheit ist. Sie tun, als lebten sie mitten in einem riesigen Hollywood-Studio und müßten ständig Angst haben, daß nachts einer reinkommt und sämtliche Kulissen zusammenpackt. All diese Typen sind so kaputt, daß sie nicht mehr zwischen Illusion und Wirklichkeit unterscheiden können.« Sie hielt inne, wie um ihre Gedanken zu ordnen. »Früher, da konnte ich hierherkommen und mein Gefühl für die Realität zurückgewinnen. Wenn ich hier zu Hause saß, zusammen mit Vater und Mutter, da spürte ich, daß es das doch noch gibt, ein normales Leben, vernünftige Menschen. Meine Eltern machten einandernichts vor; in unserer Familie achteten wir einander um unserer selbst willen. Meine Eltern haben nie versucht, uns umzukrempeln.« Sie schüttelte den Kopf und jagte in Gedanken zwischen ihren beiden Welten hin und her. »Hier war's immer ganz anders als in
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