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Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Titel: Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Heim
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völlig »benommen« hat, ich kenne ja diese Deine Stadien alle und die Auswirkung auf Dich, schlimm! Es wird auch dieser Mann zu einer Deiner abenteuerlichen Episoden gehören, Gott gebe nur, ohne Schaden für Dich.
    Ach Gott, heute ist Vatis Geburtstag, 63 Jahre wäre er erst und ist beinahe 17 Jahre von uns fort. Alles wäre anders mit uns geworden, wenn er bei uns wäre und mich nicht allein gelassen hätte. Wenn nur wenigstens Du es mir nicht so schwer gemacht hättest. Immer lehntest Du störrisch meine treuen, guten Ratschläge und Weisungen ab. Es soll kein Vorwurf sein, es haben wohl viele Kinder unvernünftig gehandelt, alles ist Erziehung, und vielleicht hatte ich die Schuld und war zu schwach ohne Vatis Beistand. Wir wollen uns sagen, noch ist es nicht zu spät, denn wir leben noch und klammern uns mit Zähigkeit an Hoffnungen. Und es muss bekanntlich ganz finster werden, bevor die Sonne aufsteigt.

    Berlin, den 1.

Februar 1942
    Mein Geliebtes,

    Deine letzte Nachricht war die Aussicht auf einen Brief, den ich immer noch erwarte. Auch von Dr.

Sommer hörte ich nichts, werde mich aber bei ihm anmelden, denn ich muss diesen Monat unbedingt gesund werden, Du wirst es einsehen und verstehen; irgendein Mittel wird es noch geben. Am meisten rechne ich auf Dein Zutun, und nur dies hält mich noch am Leben, wie gesagt, knapp vier Wochen, den März hinein ist für mich grässlich, da geht der Husten [die Deportationen] wieder mit Volldampf los, das weiß ich genau. Ich bin so glücklich, dass ein bisschen allgemeine Ruhe eingetreten ist, äußerlich, aber in mir schlägt das Herz Tag und Nacht bis an die Kehle, daher habe ich auch Schwindelanfälle, was ich nie kannte, und wie kann man das auch alles heil überstehen! Übrigens ist auch außer Baums auch Grünthal [Käthe Julie Grünthal, Deportationsziel ab Berlin, 25.

Januar 1942, Riga, Getto] abgereist. Es schreit zum Himmel. Nur aus Angst habe ich in vier Wochen 20 Kilo abgenommen, stelle Dir vor.
    Leb wohl, mein Geliebtes, und bete für uns.

    Sei innigst umarmt,
Deine Mutti
    Der fünfzigste Geburtstag von Edgar Salin muss ein schönes Fest gewesen sein. Die Basler National-Zeitung hält den Abend in einer Notiz vom 9.

Februar 1942 fest:

    »Eine stattliche Zahl ehemaliger und jetziger Schüler versammelte sich zu einer schlichten Feier im Hotel Drei Könige . Neben verschiedenen Darbietungen überraschte uns Frl.

Brigitte Salin mit zwei sehr schönen Liedern von Giordan und Bach, begleitet von Frl.

Lampencherf (Flügel) und Herrn Baumgartner (Violine). Zum unterhaltenden Teil stellte sich die bekannte Kapelle Ruckstuhl vor, und gar manches bemooste Haupt probierte noch einmal, sein Tanzbein zu schwingen.«
    Hiroshi zählt zu den Gratulanten. Am nächsten Morgen reist er nach Zürich ab – sehr erleichtert, denn in seinem vorläufig letzten Brief an Ilse geht er deutlich auf Distanz zu ihr. Für ihn ist das Abenteuer beendet.

    Zürich, den 6.

Februar 1942
    Liebe Ilse,

    je höher ich den Wert Deines Wesens einschätze, umso schwerer wird die Belastung empfunden, die ich Dir schon jetzt seelisch bedeute. Leidenschaft ist gesund, aber noch gesünder ist sie, wenn sie durch starken Willen gezügelt wird. Ich neige heute stark dazu, anzunehmen, dass unsere Freundschaft sich in einer anderen Form viel freier entfalten kann. Indessen lehrt auch die chinesische Lebensphilosophie eine abgeklärte leidenschaftslose Liebe.
    Im Café Spillmann gabst Du mir die Freiheit zurück, wie ich Dir auch. Wenn es auch so schmerzlicher ist, wollen wir es doch als einen großen Schritt vorwärts annehmen. Wobei mir nichts lebendiger als der Wunsch, Dir auf Deinem Lebensweg nach Möglichkeit beizustehen. Darf ich wohl meinen Teil zu Deinem Lebenserfolg beitragen! Ich werde mir immer dieser Verantwortung bewusst bleiben.
    Trotzdem wäre es kein schlechter Gedanke, wenn wir uns vorläufig seltener treffen sollten.
    Du hast gewiss so viele dringende Ziele, und ich hoffe, dass Du Kraft genug dazu sammelst, um dich durchzusetzen. Dann wirst Du die innere Freiheit zurückgewinnen. Darauf warte ich ungeduldig.

    Stets Dein Hirosi
    So weit Hiroshi Kitamuras vorerst letzte Worte.
    Doch so schnell lässt Ilse den selbstgefälligen Mann nicht ziehen. Sie ruft ihn an und spricht apropos Feigheit und fernöstlich inspirierter »Liebe ohne Leidenschaft« Tacheles mit ihm. So etwas hat sie von einem Mann noch nie zu hören bekommen; wohin sich Hiroshis »vollkommenes

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