Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus
innerhalb des deutschen Heeres, die jeden Widerstand ersticken mussten, [später] Nachrichten über Auschwitz. Es ist seltsam, wie viel geistige Kraft es allein kostete, sich einzugestehen, wie die Wirklichkeit in Wahrheit aussah.«
Marianne von Heereman,
»Renata von Scheliha. Die Schweizer Jahre«
Am Stapfelberg nimmt zu Beginn des Jahres 1941 die Besorgnis um die noch in Berlin verbliebenen jüdischen Freunde zu. Zu diesen gehört ganz besonders Gertrud Kantorowicz, mit der Renata in einer innigen Freundschaft, wenn nicht gar Wesensverwandtschaft verbunden ist. Gertrud Kantorowicz ist Kunsthistorikerin und wie Renata Georgeanerin, Gegnerin der »braunen Pest«, Freundin von Edith Landmann und mutige Frau. Sie ist trotz Möglichkeiten der Auswanderung nach England und trotz ihres Alters in Berlin geblieben, um andere zu befreien. Furchtlos und unerschrocken bewegt sie sich im »Zentrum des Bösen« und schart ein letztes Häufchen geistiger Menschen in ihrer Wohnung am Lützowplatz um sich. Dazu gehören auch die jungen »Symmachoi« Margarete Roesner und Gabriele von Rose, die im Sommer 1941 mithilfe von Renatas Bruder Rudolf ein Visum für die Schweiz erhalten und mehrere Wochen im Fälkli verbringen. Im darauffolgenden Jahr wird Margarete aus unverbrüchlicher Treue eine weit gefährlichere Reise auf sich nehmen. Das konnte nur Renata fordern, denn »[…] die Mädchen, die sie ihres näheren Umgangs für wert hielt, mussten sich bedingungslos vom Einfluss ihrer Milieus freimachen. Sie mussten die ihnen von Jugend auf suggerierten Modelle – Vorstellungen weiblichen Glücks – über Bord werfen. Sie verpflichteten sich zum selbstlosen Dienst an einem gemeinschaftlichen Leben. Sie taten es der geistigen Glut und Festlichkeit halber, die ihnen durch Renata vermittelt wurde. Sie fanden ihre eigene Mitte und gingen von da ab wie gefeit durch die Welt«, schreibt der Freund Wolfgang Frommel über Renata.
Ilse hat sicherlich nicht das Zeug und auch nicht den Drang, sich in die Spiritualität dieser »hermetischen Gemeinschaft« einzuordnen, doch Renata fasziniert, und die beiden Frauen finden eine »weltliche« Freundschaft, in der die ältere Renata bereit ist, der oft verzweifelten und nervlich angespannten Ilse Trost und Einsicht zu bieten. Zu Renatas und Gertruds kleinem Berliner Kreis gehört auch Artur Sommer, ein Schüler und Freund von Edgar Salin. Er ist Major in Hitlers Wehrmacht. Dr. Artur Sommer bewohnt eine Atelierwohnung hoch oben unterm Dach in der Lützowstraße in Berlin-Tiergarten. Obwohl er Frau und Kind im entfernten Heidelberg hat, führt er eine Art Junggesellenleben, leistet seinen Dienst im Wehrwirtschaftsstab des OKW und pflegt außerhalb des Dienstes ungewöhnliche Freundschaften. Seit 1935 ist er häufiger Gast bei Gertrud Kantorowicz am nahen Lützowplatz. Dort lernen ihn auch Renata von Scheliha, Edith Landmann und das Trüppchen der »Symmachoi« kennen:
»Der Lützowplatz, Gertruds Wohnung«, erinnert sich Artur Sommer, »eine Zeit lang auch Frau Landmanns, hatte durch Gertrud Kantorowicz und ihre Helferschar eine eigenartige Widerstandsbedeutung. Sie kam, wenn ich da war, fast täglich zu mir oder ich zu ihr.«
Major Artur Sommer (vorn, Bildmitte)
Diese Seelenfreundschaft zwischen dem Wehrmachtsmajor und der jüdischen Kunsthistorikerin liegt in der gemeinsamen Verehrung von Stefan George begründet. Sommer, der in den Zwanzigerjahren bei Edgar Salin promoviert hatte, wurde von seinem Doktorvater an den »Kreis« herangeführt. Der stattlicheOffizier, den immer wieder dienstliche Missionen in die Schweiz führen, stellt ab September 1939 eine Verbindung zwischen den in Berlin zurückgebliebenen Freundinnen und den nach Basel geflohenen Frauen her.
Berlin–Basel: Verwandte Seelen suchen Wege zueinander. Am 19.
März 1941 treffen sich Ilse und Renata im Café Spillmann an der Rheinbrücke. Renata bietet an, ihren Berliner Kreis um Gertrud Kantorowicz, Major Sommer und den tüchtigen Strippenzieher Bruno Bendix mit Marie zu verknüpfen. Und schon am 28.
März kann Marie berichten:
Heute hat mich Herr Bendix besucht, weil ich mich per Karte bei ihm anmeldete. Scheint sehr intelligent zu sein und gefiel mir durch nähere Unterhaltung außerordentlich; er ist auch befreundet mit dem Sender meines Päckchens, war alles sehr interessant. Herr Bendix meint, vorläufig noch mit Bemühungen zu warten. In Lissabon staut sich alles, weil Passagen konfus gebucht wurden. Die Leute
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