Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus
d’une fille. ‹«
Die Feldpostadresse: Füsilier A. Heim Territorial III / 180 – die »Päckliadresse« für Ilse? Abfahrtszeiten der Züge nach Locarno, Genf, Olten, Luzern, Flüelen … Buchbestellungen: Les carnets de Leonardo da Vinci , acht Bände Verlaine, Librairie Droz, Paris. Besorgungslisten für die »hungrigen Mäuler« im Haushalt des Professors – Honig: 7,–, Speck: 4,90, Fett: 5,20, Edgar: 5,50, Eier: 5,00, Kaffee: 3,50, Wurst: 1,50, Seife: 0,80. Einkaufslisten noch und noch.
Im schwarzen Kalender hat Ilse ihr annus horribilis hinterlassen. Männerdramen und die letzte Nachricht von Marie sind verzeichnet, auch gute Momente, honeymoons und very happy kann ich finden, auch Glück mit Edgar, der in diesem Jahr fünfzig wird und feiert.
Die Hiobsbotschaften des Jahres teilt Ilse mit den drei Frauen vom Stapfelberg. Vierzehn Verabredungen – von Mai bis Oktober – sind vermerkt. Renata und Marianne sind nun ihre besten Freundinnen im Leid. Gemeinsam verbringen sie Ilses dreißigsten Geburtstag in der Abgeschiedenheit des Fälkli, Ilse bringt Wein mit. Auch Onkel Willi macht Sorgen. Dabei hatte alles so glücklich für Ilse begonnen, am ersten Januar bei Kerzenlicht auf der Kleinen Scheidegg inmitten der hohen Bergwelt. Das schwarze Büchlein von 1942 schafft Gewissheiten, ist Sturm.
Der Kalender für 1943 ist mit einem blauen Lederimitat eingebunden. Auch Tell wie im Jahr zuvor. Gekauft hat es Ilse in Zürich bei Landolt–Arbenz in der Bahnhofstrasse. Ihre Adresse ist weiterhin Augustinergasse 15. Diesmal sind keine Geburtstage eingetragen, auch die Adressseiten zeigen wenig Frequenz. Es tauchen erste Namen in Zürich auf, eine Kunststopferin in der Rämistrasse, Dr.
Dreifuss in der Hottingerstrasse, der Reitstallvon Hauptmann Weiher in Elgg – wo Fred seine wöchentlichen Ausritte hat, Oertl ist nun am Auberg 1 – er hat ausgedient, Salin wird weitergeführt, Hiroshi entfällt. Das Büchlein blättert sich merkwürdig fahl, beinahe erschöpft. Es macht deutlich, welch ein Sturm über Ilses Leben im zu Ende gegangenen Jahr hinweggefegt ist. Stille wird spürbar, auch noch nach sechzig Jahren. Die leeren Seiten sind ins Leben geschnittene Schneisen, Bedeutungen sind dahingegangen, Verabredungen verloren. Ilses weite Welt wird knapp, Leerstellen werden sichtbar – auch Marie.
Ihren ersten Eintrag macht Ilse erst Mitte Februar, eine Sprechstunde beim Dekan. Sachlich geht es weiter, ohne Ausrufezeichen und Champagner. Theaterbesuche, Termine in der Fakultät – anstrengende Verabredungen. Im Mai beginnt ein langes Abschiednehmen von den Fälkli-Frauen. Noch ein Besuch von Artur Sommer in der Schweiz – Deutschland befindet sich auf dem Rückzug – nicht kleinlaut. Viele harte Worte.
Im Juli die Eheverkündigung im Aushang, Wohnungssuche in Zürich, im August die Heirat mit Alfred Heim. Abendessen mit den Trauzeugen in der Fischerhütte . Die Kisten aus Basel kommen an und auch der Schweizer Pass. September: Ilse »flieht in die Berge«. Zwei Wochen am Seil mit Gletscherquerungen im Wallis. Danach helle Tage im Dorf Evolène, wohin sie 1951 mit Gasbarra und mir zurückkehren wird; keine Erinnerungen für mich, viel später Fotos eines Sommers, den es so nur einmal gegeben hat – im Schuhkarton. Große Ruhe – endlich, wie die unbeschriebenen Blätter sich selbst belassener Tage mich meinen machen.
Beginn in Zürich mit neuen Freunden, Lilian Bondy, Anna-Katharina Wyler-Salten, Robert Jungk und vielen mehr. Im November üppig Patisserie am Paradeplatz und Röcke vom 1a Schneider Grieder. Am 21.
Dezember großer Einkauf: Ente für 11,– Franken, außerdem Wein, Kerzen, Kaffee, Obst, Gutzi (Kekse), Blumen. Fred wird aus dem Dienst entlassen. Ilsehat die kleine Wohnung an der Uferpromenade, Seefeldquai 1, hübsch gemacht, sie erwartet ihn. Eine Weihnachtsente, so wie Marie sie »geschmirgelt« hätte, mit Äpfeln und Pflaumen, dazu Rotkraut. Es wird früh dunkel, das Wasser liegt wie Blei. Die Kerzen flackern am Fenster. Es ist das Bild, von dem Marie viele Jahre geträumt, um das sie in ihrem Leben gerungen hat: der Mann und ihre Tochter. Ihre Briefe liegen an diesem Tag schon im Schuhkarton: »Ich denke so oft an das mit ihm verlebte erste Silvester in St.
Moritz, von wo Du mir telefoniertest und ich darauf heulend ins Bett ging. Wie wäre heute alles anders für uns! Aber es hilft nichts, es kann ja sein, dass ich diesmal eine Hochzeitsanzeige kriege, mein Gefühl, an
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