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Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Titel: Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Heim
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sitzen da und kommen nicht weiter. Immerhin wäre ich schon glücklich, erst mal dort zu sitzen. Wenn Du nach Übersee wolltest, höre ich, hättest Du es viel einfacher und leichter; ich erwarte, bald Deine Pläne darüber mit so manchem anderen zu erfahren. Hier gottlob nichts Neues, auch mit der Wohnung noch nichts verändert.
    Puppchen, die Gardinen würde ich noch nicht abnehmen, sie leiden, besonders die feinen aus Tüll, so sehr durch die Wäsche, sind auch sicher noch nicht so schmutzig, lass es noch. Ja, wir fehlen uns gegenseitig so sehr, aber nicht etwa wegen der Reinemacherei, damit sich jetzt noch verrückt zu machen ist Quatsch, mir für hier völlig piepe, bei mir herrscht nur ein Gedanke, nur morgens bis abends raus!!!
    Marie schreibt sich trotz andauernder Unruhe »ihre Gemütlichkeit« herbei. Die kleine Villa in der Landhausstraße wird mehr und mehr zum Refugium, ein festes Werk gegen den täglichen Sturm auf das eigene Leben.

    Es wohnen nur Familienmitglieder darin, bis auf Dr.

Fuchs in der Neubauwohnung. Es könnte nur sein, dass die übrigen Mieter noch Untermieter kriegen, aber ich glaube, ich nicht, und wenn, kann ich mir auch nicht den Kopf abreißen, immer noch besser als viele andere.
    Marie erscheint enorm anpassungsfähig. Sogar dem zwangsweisen Abstieg in die »tiefe« Wohnung, den zwei Kellerzimmern mit den hoch liegenden Fenstern und dem kleinen Bad, das sich Willi 1935 hat einrichten lassen, gewinnt sie trotzig Vorteile ab:

    Es wird alles nicht so heiß gegessen, wie’s gekocht wird, ich bin ja auch im Keller im Bett. Alles zum Guten, mein liebes Kind, auch mein tiefes Wohnungchen. Vorläufig geniert mich das alles noch nicht, kann aber sein, dass es doller kommt.
    Wenn ich nächstes Frühjahr hier noch drin sein sollte, werde ich in Gemeinschaft mit dem Verwalter energisch für richtige Instandhaltung etc. vonseiten der Mieterin, die dafür vertraglich verpflichtet ist, sorgen.
    Obwohl Marie schon seit Längerem einen Zwangsverwalter für ihr Haus hat, hält sie weiterhin die Fäden in der Hand:

    Als ich neulich meine Mansarden zu vermieten hatte, kam auch unter den vielen eine jüdische Krankenschwester, die Dich kannte und mit vielen der Mädels aus dem Film befreundet war. Ich musste ihr alle die Filmaufnahmen aus Mädchen in Uniform zeigen, die ich ja noch habe, mit der Thiele etc., und sie war ganz beglückt damit. Aber als Mieterin wollte ich sie doch nicht haben und versprach ihr zu schreiben, was ich aber sozusagen vergaß. Männer sind mir sympathischer. Der neue Junge ist unbemerkbar und bescheiden. Mein alter Baron ist ja ebenfalls ein Ideal in der Beziehung, obgleich ich von »unbemerkbar« bei ihm leider nicht reden kann. Er löchert mich mit seinem Unglück und verlorenen Glück täglich nicht wenig, aber etwas muss man ja schließlich in Kauf nehmen bei solchem »wertvollen« Mieter.
    Wenn ich denke, was ich auch da oben vor ihm für Ärger und Betrieb hatte! Und jetzt seit 2 ½ Jahren dieser kleine Dreikäsehoch ganz allein , der kaum den Boden berührt vor Bescheidenheit.
    Seit Marie nach dem Tod von Felix beschlossen hat, gewerblich zu vermieten, ist ihre Welt in der Landhausstraße 8 – in den besseren wie auch in den schweren Zeiten. Auf das Haus lässt sie nichts kommen, hier ist sie Matrone, ganz preußischer Offizier, Befehlsgewaltige auch in Sachen Schicksal. Deshalb ist sie wohl auch immer wieder hierher zurückgekehrt. Sie bringt es, wie so viele andere auch, nicht über sich, dem Haus zur rechten Zeit Adieu zu sagen.

    Meine Mieter sind glücklich darüber, dass sie bei mir wohnen, während den Familien in arischen Häusern gekündigt werden muss. Die Unsrigen liegen auf der Straße und irren darauf, Unterkunft suchend, umher. Wie viel Raum ist Nebensache, es gehen bekanntlich viele geduldige Schafe in einen Stall, und es gibt noch schlimmere Dinge – siehe die Lager in Gurs! Baums werden ebenfalls bald möbliert wohnen und alles verkaufen. In ihre eigenen zwei Häuser können sie nicht hinein, weil niemandem dort gekündigt werden darf. Ach Gott, was ist das alles z.

K.
    Die jüdischen Bewohner der Landhausstraße wissen natürlich, was »draußen los ist«, sie kehren sich umso mehr nach Innen und versuchen, einander mit Zuwendung und Fürsorge das Unerträgliche wann immer möglich »vergessen zu machen«. Die von einem üppigen Garten geschützte frei stehende Villa bietet dafür gute Voraussetzungen. In den großen Renditehäusern mit

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