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Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Titel: Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Heim
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Kunstmuseum, geht ins Theater, muss zum Zahnarzt und beschäftigt eine Putzfrau zu 1,80 die Stunde. Sie verabredet sich mit Renata, mit Maries langjähriger Basler Freundin Hilde Löwe und ab und zu auch mit dem zum »Nichtstun« verurteilten Kommunisten und Kommilitonen Fritz Belleville, den sie regelmäßig verköstigt. Dem Fritz geht es längstnicht so auskömmlich wie ihr, er ist auf den Mittagstisch angewiesen.
    Im Staatsarchiv Basel, wo Ilses Polizeiakten aufbewahrt werden, ist auch Fritz Belleville zu finden:

    »In Basel anfänglich aus dem Kreis der studentischen Freunde finanziell unterstützt, war Belleville bald ausschließlich von der Mildtätigkeit seiner Freunde und Bekannten abhängig. Eine regelmäßige berufliche Tätigkeit blieb ihm verwehrt, Grundlage seiner Aufenthaltsbewilligung war sein Status als Student. In den Fächern Nationalökonomie, Geschichte und Philosophie eingeschrieben, gelangte seine geplante Dissertation ›Wirtschaft und Staat in der Praxis des Bolschewismus‹ angesichts der prekären Lebensumstände als Emigrant nicht zum Abschluss.«
    Von Ilses »Drinnen« ist nur eine Fotografie erhalten: ihr Arbeitstisch. Mich berührt das kleine, etwas unscharfe Foto. Ohne das Bild zu kennen, waren die Schreibsituationen in meiner Studienzeit fast genauso hergerichtet. Ilses länglicher Holztisch, mit einer mittigen Schublade, steht zur Wand. In greifbarer Höhe hängt ein schmales, »zweigeschossiges« Regal. Darin lehnen Bücher, aber nicht nur. Eine kleine chinesische Vase, liegende Quarthefte und gestapelte Karteikarten füllen die Leerräume. Etwa die Hälfte der Buchrücken ist mit einer Signatur der Bibliothek beklebt. Daneben dicke Wörterbücher und Nachschlagewerke und vielleicht zierliche Nippes, die aber in der Unschärfe nicht deutlich sind. Rund um das kleine Bücherregal sind Postkarten an die Wand gepinnt. Zwölf kann ich zählen – Reproduktionen großer Meister. Ich erkenne Giotto und Leonardo, Botticelli und van Gogh. Bei den Impressionisten bin ich mir nicht sicher – zu flau. Ein kleiner Abrisskalender hängtda, mit der 18 oben. Der Monat, da zu klein gedruckt, bleibt unleserlich. Auf der Tischoberfläche herrscht viel Durcheinander. Flache Bücherstapel, ein Körbchen, in dem sich viele lose Blätter türmen – vielleicht auch Briefe von Marie, alte Briefe von Willi, Anfragen der Behörden, Lyrik von Salin? Daneben ein Köcher für Stifte, ein Roller mit Fließpapier zum Trocknen der Tinte (aus braunem Bakelit – er hat überlebt, ich erinnere mich an ihn in der Dolderstrasse), eine Schreibtischlampe mit einer länglichen Lichtblende aus Metall, eine kleine Tischuhr, die auch ein Wecker sein kann. Am oberen Bildrand hängt eine hölzerne Stalllaterne. Selbst die kurze Kerze ist zu sehen; hell genug für Romantik und auch bei Stromausfall.

    Das also ist die gute Nische in Ilses Welt. Der Ort ihrer Geborgenheit, wo Böses draußen bleiben muss, wo Drängendes geduldig gemacht wird, wo nur ihre Gedanken reisen dürfen. Hier raffen sich ihre Sehnsüchte zu versperrten Welten auf, brauchen kein Laissez-passer und keine Affidavits, keine Toleranzbewilligungen und keine Kennkarte – Papiere, die nun die Welt veröden. Wohin führen ihre voyages imaginaires ?
    Zu Gasbarra nach Rom – »wo wir uns damals in einem Café trafen, weißt du noch, wo Jimmie friedlich auf einem Stuhl schlief, bis er zu fürchterlichem Leben erwachte und die Bettdecke in der Via dei Due Macelli vollkotzte, was er aber bestimmt nicht war, sondern das eklige Weib selbst, die damit nur die Rechnung erhöhen wollte« –, mit Renata zur Artemis nach Ephesos, barfuß mit Williwusch durch die Lavendelfelder der Provence oder alles endlich hinter sich lassen und über den Atlantik nach New York?
    Ilse hat in Wahrheit schon immer viele Träume gehabt – auch wenn sie später behauptet, sie träume nicht –, damals Fantastisches zur »Mutter-Verdrängung«, später Überlebensträume gegen die Nächte der Erinnerung.

    Berlin, den 16.

März 1941

    In Deiner engsten Umgebung gibt es leider schlechte Beispiele für Dich. Keiner ist da, der da mal richtig aufräumt und Dir den rechten Weg zeigt, lauter Schlappschwänze, die selber nicht wissen, was sie wollen. Die Wissenschaft allein tut’s auch nicht.
    Gasbarra hätte da sein müssen, der hätte gewusst, was Du zu tun und zu lassen hast. Hörst Du mal von ihm?
    Viel Freude hast Du mir eigentlich noch nicht gemacht, das musst Du schon zugeben. Aus

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