Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus
alles kein Zu- oder Abraten sein, sondern es sind nur meine Impulse, aus der Situation heraus kristallisiert, man muss daran arbeiten, sein Ziel zu erreichen. Ob es gelingt, hängt sozusagen von den Strähnen ab.
Vor Herbst wird es keinen Schiffsplatz geben, und das ist noch lange hin! Wenn man aber bedenkt, wie rasend schnell die Monate eilen und mit ihnen der Wechsel der Ereignisse, ist es doch ratsam, sich mit keinem anderen Gedanken zu beschäftigen als mit Kofferpacken. Du solltest, wenn Du rausgehst, lieber noch schnell etwas Praktisches erlernen, Massage, schrieb Bertha, wird gut bezahlt. Dazu kann Dr.
Dreifuss Dir vielleicht verhelfen. Einmal schriebst Du mir, einen Krankenpflegerinnenkurs machen zu wollen, lauter plötzliche Pläne und Ideen, zu Wasser geworden, unausführbar wegen Mangel an Ruhe und Konzentration, und eben last not least dieser Mann! Wobei jeder Ernst fürs Leben in den Hintergrund tritt. Na, ich gebe wie gesagt mein Vertrauen zu Dir nicht auf, glaube trotzdem an den Erfolg Deines besten, reifenden Frauenverstandes in Deinen Jahren, in denen ja nun die Sturm- und Drangzeit überwunden sein muss. Ich wiederhole schließlich meinen Vorschlag der letzten Briefe, ruhig und ernst mit Sorgfalt Letztere zu überprüfen, um zu wissen, was Du zu tun gedenkst. Ich meinte diesbezüglich mit meiner Bemerkung, Deine Briefe sind leer, nur viel Papier, nur die Feststellung, sie enthalten nicht das, worauf es heute ankommt, worüber man sich klar zu sein hat, es darf einen heute nichts anderes mehr interessieren als der Selbsterhaltungstrieb, so man diesen noch besitzt. Und ich hoffe, Du bist noch jung genug, ihn zu haben.
Adieu mein Gutes, ich warte weiter auf Beantwortung meiner Briefe Nr.
12–15 und Erledigung für Onkel Willi bzw. Weiterleitung der Nachrichten zu ihm sowie Scheck für das Führungszeugnis.
Mit herzhaften Küssen,
Deine Mutti
Puppchen, ich erquicke mich an Deiner Schokolade.
»Alles, was Pulver hat, sucht einen Dampfer, wir werden uns in Amerika sehen!«, rufen sich im Sommer 1941 die Berliner Juden unverdrossen zu. Von Mitte Mai bis Ende Juni ist anhaltend Aufregung bei Marie. In diesen sechs Wochen schickt sie dreizehn Briefe und Postkarten an Ilse. Ihre Bemühungen, noch einmal von ihrer New Yorker Schwägerin Louise Kaufman die Schiffspassage und die zur Einreise in die USA notwendigen Bescheinigungen zu erhalten, führen im Frühsommer 1941 endlich zum Erfolg. Auch die »Eisenberg-Cousine« Berenice Mills ist nun bereit zu bürgen. Es ist »höchste Zeit«, denn im September wird der Gelbe Stern verordnet, am 18.
Oktober geht der erste (Deportations-)Transport aus Berlin ab, und fünf Tage später wird das endgültige Emigrationsverbot erlassen. Ilse bleibt nicht viel Zeit, um ihre Mutter zu retten.
Anfang Mai schreibt Marie nach Basel:
Mein Geliebtes, heute empfing ich Deinen lieben Brief vom 6. des Monats, worin Du mir allerhand gute Ratschläge gibst, die leider teilweise un durchführbar sind. Im Augenblick stoppt es; alle hoffen, es wird irgendwie wieder werden, was weiß man denn!
Das Allerwichtigste ist nur, ein Visum zu haben […]
Also wenn Herr B[endix], nur um zu verdienen natürlich, gute Ratschläge anbieten wird, lehne ich diese energisch so lange ab, bis meine Ausreise 100
% gesichert ist, soweit man dies voraussehen kann. Lissabon ist wieder passagefrei, hörte ich, und nun soll B. arbeiten und zeigen, was er kann.
Berlin, den 20.
Mai 1941
Mein Geliebtes,
hatte Dir zwar erst gestern Brief 20 gesandt, da ich aber heute so einen entzückenden, bereitwilligen Luftpostbrief von Mrs.
Mills erhielt und so namenlos glücklich darüber bin, muss ich Dich doch schnell daran teilnehmen lassen. Ach, es scheint doch noch einen Gott für mich zu geben, ich war tief gerührt, wie man mir helfen will. Jetzt, da ich von zwei Seiten 1a Papiere habe (Louises würden schon allein ausgereicht haben) und diese gute Bernice mir schreibt, alles zu tun, was möglich, auch das nötige Geld zu geben, ebenfalls für Onkel Willi!, wird also hoffentlich, so Gott will, in dieser Beziehung alles gut gehen. Bitte schreibe das sofort express an Onkel W. Nun will ich nur noch wissen, wann Du rausgehst, allein oder mit Fredi?
Wenn allein, dann muss das von Mills Deponierte für Dich sein, mein Gutes. Ach, womöglich gehen wir drei, Willi nach Chicago, mir ist ja alles ganz egal, wohin, nur nicht allein und verlassen sein wie jetzt. Nachmittag bin ich mit
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